Die Kastration aus medizinischer Sicht
Was passiert wenn Rüde oder Hündin kastriert werden? Hier findet ihr die Antwort unserer Tierärztin.
Geschrieben von:
Vanessa Lässig
Zuletzt aktualisiert am: 30.12.2022

Gleich nach der Frage „Was füttere ich meinem Hund?“, ist die Kastration wohl das meist diskutierte Thema in der Hundewelt.
Neben der Grundsatzdiskussion „Kastration - ja oder nein?“, stellt sich natürlich auch die Frage des richtigen Zeitpunktes, eventueller Nebenwirkungen, Kosten und vieles mehr. Dieser Artikel soll Ihnen eine Entscheidungshilfe sein, gleichzeitig aber auch gängige Mythen rund um die Kastration (z.B. „Hündinnen werden sterilisiert“) aufklären und, vor allem, medizinische und rechtliche Aspekte aufzeigen.
Was ist überhaupt eine Kastration?
Ein operativer Eingriff bei Hündin oder Rüde, um eine dauerhafte Unfruchtbarkeit zu erreichen.
Was die Tiermedizin unter einer Kastration versteht
Starten wir mit den anatomischen Grundlagen: der Geschlechtsapparat von Hunden ist im wesentlichen so aufgebaut, wie der des Menschen und anderer Säugetiere. Es gibt äußere Genitale (Vulva vs. Penis + Hodensack), innere Genitale (Scheide + Gebärmutter + Eileiter + Eierstöcke vs. Hoden + Nebenhoden + Samenleiter) sowie weibliche und männliche (akzessorische) Geschlechtsdrüsen. Unterschiede zum Menschen sind zum Beispiel der „zweihörnige“ Uterus der Hündin oder der Penisknochen des Rüden.
„Wozu müssen wir das so genau wissen? Wir sind doch keine Gynäkologen!“, werden Sie sich vielleicht fragen. Ganz einfach: nur so können Sie verstehen, was überhaupt eine Kastration ist, was sie von einer Sterilisation unterscheidet und warum zum Beispiel die Kastration einer Hündin zeit- und kostenintensiver ist, als „Schnipp-schnapp, Eier ab!“ beim Rüden.
Kastration bedeutet genau genommen nichts anderes als eine Amputation (lat. castrare = verschneiden). Egal ob bei weiblichem oder männlichem Individuum: sobald ein Teil des Geschlechtsapparates entfernt wird, ist es also eine Kastration. „Amputiert“ werden dabei die sogenannten „Keimdrüsen“ oder „Gonaden“. Das sind die Organe, die für die Entwicklung der Keimzellen (Eizellen, Spermien) zuständig sind, also Eierstöcke oder Hoden. Bei der Hündin wird aus gesundheitsprophylaktischen Gründen meist auch die Gebärmutter mit entfernt. Im medizinischen Fachgebrauch spricht man bei einer Kastration dementsprechend von Ovarektomie (Entfernung Eierstöcke), Ovariohysterektomie (Entfernung Eierstöcke + Gebärmutter) oder Orchiektomie (Entfernung Hoden).
Eine Sterilisation hingegen, geht (meist) nicht mit einer Amputation einher, sonder ist lediglich eine Unfruchtbarmachung mittels Durchtrennung der Eileiter (Tubenligatur) oder Samenstränge (Vasektomie). Im Gegensatz zur Kastration, verbleiben bei einer Sterilisation also alle hormonbildenden Organe im Körper. Die Hunde durchlaufen dementsprechend weiterhin ihre Hormonzyklen, mit allen positiven und negativen Effekten, sind aber nicht mehr zuchtfähig. Dies gilt für Hündinnen, wie für Rüden und ist damit auch keine rein „weibliche“ Operation, wie oft von Laien angenommen und in Hundeforen publiziert wird.
Es können außerdem noch verschiedene Operationstechniken unterschieden werden: Die „klassische“ Variante ist bei der Hündin ein Schnitt in der Körpermitte in Bauchnabelgegend und beim Rüden ein Schnitt mittig am Hodensack, durch den dann die zu operierenden Organe vorverlagert und entsprechend bearbeitet werden. Liegt ein Hoden im Leistenspalt oder im Bauchraum, erfolgt auch beim Rüden ein Schnitt in der Körpermitte oder in der Leiste. Ebenso bei den Sterilisationstechniken beider Geschlechter.
Eine eher neuere Variante ist die meist als „minimalinvasiv“ bezeichnete Operation mittels Endoskopie. Dabei werden i.d.R. zwei kleine Schnitte rechts und links am Bauch bzw. der Leiste gesetzt, durch die Endoskope ins Körperinnere gelangen. Diese verfügen über eine Kameraführung und einen Arbeitskanal, mit dem die zur OP notwendigen Geräte in die Bauchhöhle eingeführt und die Kastration/Steriliastion durchgeführt werden kann. Diese OP-Variante soll schonender sein und, durch die kleineren Schnitte, eine schnellere/bessere Heilung garantieren. Ob dies wirklich immer der Fall ist, ist allerdings umstritten und nicht bei jedem Hund ist diese Operationsmethode geeignet.
Welche Operationsform man für welchen Hund wählt (Kastration vs. Steriliation, „klassische“ OP vs. endoskopische OP), hängt von Hund, Tierhalter, erwünschtem Ergebnis (Hormonwirkung ja/nein) Operateur und natürlich den äußeren Umständen (Zeit, Geld, Standort) ab. Operationen in der Bauchhöhle sind immer aufwendiger und risikoreicher, als „nur“ ein Schnitt am Hodensack. Endoskopische Eingriffe, durch Spazialequipment, teurer als „normale“ Operationen. Größere Hunde „verbrauchen“ mehr Narkosemittel und Operationsmaterial. Hunde mit Vorerkrankungen bedürfen eventuell einer spezielleren Überwachung. All das spielt in die Entscheidungsfindung, ebenso wie in die Kostenberechnung, mit ein. Besprechen Sie am besten mit Ihrem Tierarzt, welche Variante sich für Ihren Liebling eignet. Sollte die Entscheidung auf eine Operationsmethode fallen, die Ihr Tierarzt selbst nicht anbietet, wird er sie an einen entsprechend arbeitenden Kollegen überweisen.
Gesetzliche Grundlagen zur Kastration
Was versteht der Gesetzgeber unter der Kastration - was ist erlaubt und was ist verboten?
Die rechtliche Grundlage im Hinblick auf die Kastration beim Hund
Nun haben wir ja schon festgestellt, dass eine Kastration nichts anderes ist als eine Amputation und auch eine Sterilisation einen nicht gerade kleinen Eingriff darstellt. Es drängt sich also unweigerlich die Frage auf : „Darf man überhaupt einfach so jedes Tier kastrieren, wann und wie man will?“.
Die Antwort lautet ganz klar: „Nein, darf man nicht!“.
Grundlage für die rechtliche Bewertung von Kastration und Sterilisation ist das deutsche Tierschutzgesetz. In diesem heißt es gleich zu Beginn (§1) „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Da die Entfernung eines Organes eindeutig eine Schädigung darstellt und selbstverständlich auch mit Schmerzen einhergeht (die man mit Schmerzmitteln bekämpft), stellen diese Eingriffe also einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar, wenn sie nicht aus einem „vernünftigen Grund“ geschehen. Die Definition eines vernünftigen Grundes ist im selben Gesetzestext nicht näher formuliert und wird daher oft situationsabhängig unterschiedlich ausgelegt. Im Grunde gilt dabei: entgegen der Aussage des §1, und damit engegen der Unversehrtheit des Tieres, darf nur gehandelt werden, wenn es dem Allgemeinwohl oder einem anderen übergeordneten Ziel dient. Eine Kastration rein auf Wunsch einer Einzelperson (Tierhalter), ohne medizinischen oder anderweitig wichtigen Grund ist daher nicht erlaubt. Möchten Sie Ihr Tier aus reiner Bequemlichkeit, z.B. weil sie Läufigkeitsblutung oder Vorhautkatarrh unhygienisch finden oder keine Zeit haben auf Ihren Hund gut genug Acht zu geben, dass er sich nicht ungewollt fortpflanzt, machen Sie sich strafbar. Abgesehen vom rechtlichen Aspekt, kann und soll eine Kastration keine Haltungs- und Erziehungsfehler ausgleichen.
Das Verbot pauschaler Amputationen, und damit auch pauschaler Kastrationen, wird im §6 des Tierschutzgesetzes erneut aufgegriffen. Dort heißt es: „Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres.“ Mögliche Ausnahmen von dieser Regelung werden in §6 ebenfalls genannt, dazu zählen Einzelfallentscheidungen aufgrund „tierärztlicher Indikation“ sowie „Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung“. Diese beiden Punkte sind sehr wichtig, werden aber nicht selten fälschlich oder gar missbräuchlich ausgelegt. Besonders Versicherungen legen oft ein besonderes Augenmerk auf den medizinischen Grund. Nur weil der Tierarzt sagt „Kastration können wir machen“ ist es noch lange keine tierärztliche Indikation. Denn darunter fallen streng genommen nur Krankheiten, die durch eine Kastration therapiert werden (= therapeutische Kastration), z.B: Tumoren, akute nicht anderweitig behandelbare Entzündungen oder krankhafte Hypersexualität, nicht aber Erkrankungen, denen man durch eine Kastration versucht vorzubeugen (= prophylaktische Kastration). Besonders letzteres wird aber sehr häufig als Kastrationsgrund herangenommen (vgl. Gesäugetumoren, Pyometra, Scheinträchtigkeit).
Ähnliches gilt für den Punkt der Fortpflanzungsvermeidung. Bei Katzen ist dies ein allgemein anerkannter und von vielen Seiten erwünschter Kastrationsgrund, um Katzenleid zu vermeiden. Denn Katzen kann man nicht so gut wie Hunde von Freigang/Streunerei abhalten und durch die weitestgehend jederzeit mögliche Deckbereitschaft der Kätzinnen (sogenannte induzierte Ovulation), findet eine Vermehrung viel schneller statt, als bei einer 1-2x/Jahr läufigen Hündin. Hier sieht der Gesetzgeber ganz klar die Hundehalter in der Pflicht, auf ihre Vierbeiner gut genug aufpassen zu müssen, dass keine ungewollte Fortpflanzung stattfindet. Halsband, Leine, Gartenzaun und Co. sind schließlich kein Hexenwerk und auch ein gewisser Grundgehorsam sollte bei jedem Hund vorhanden sein. Wer sich nicht in der Lage sieht, auf seinen Vierbeiner zu achten, kann auch Autounfälle, Beißereien oder sonstige Zwischenfälle nicht vermeiden, was wiederum das Tierwohl und die Allgemeinheit gefährdet.
An dieser Stelle möchten wir Sie noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der immer wieder zu Diskussionen führt: einige Züchter sowie die meisten Tierschutzorganisationen fügen in ihre Verkaufs- oder Übergabeverträge gerne einen Absatz ein, der besagt, dass der neue Tierhalter verpflichtet sei, seinen Hund oder seine Katze kastrieren zu lassen. Aus ethischer Sicht, zur Vermeidung von Tierleid durch ungewollte Fortpflanzung, ist dies natürlich eine sinnvolle Sache. Oft genug werden Tiere ohne Sinn und Verstand oder aus reiner Profitgier vermehrt, was zu einem überquellen der Tierheime, kranken oder toten Welpen und rasanter Vermehrung gefährlicher Infektionen führt. Wer einmal diese Tierleid live erlebt hat, wird liebend gerne Kastrationsbefürworter. Rein rechtlich gesehen ist diese „Kastrationspflicht“ aber nicht erlaubt und kann auch nicht durchgesetzt werden. Denn, wie Sie hoffentlich aus dem vorangegangenen Text gelernt haben, sollte jede Kastration eine Einzelfallentscheidung zum Wohle des Tieres sein und nur aufgrund einer tierärztlichen Indikation erfolgen. Hier ist also mehr an das Verantwortungsbewusstsein der Halter zu appellieren, dass ungewollte Vermehrung verhindert und nicht aus den falschen Gründen gewollt vermehrt wird.
Sie sehen also, es ist eine Gradwanderung zwischen Gesetzeslage, Ethik, Gesundheit des Hundes und Besitzerwunsch, einen medizinischen Grund zu definieren bzw. eine Kastration zu rechtfertigen.
Wann ist eine Kastration sinnvoll?
Gründe, die aus veterinärmedizinischer Sicht für eine Kastration beim Hund sprechen.
Einige Aspekte sprechen tiermedizinisch für eine Kastration
Gründe für und gegen eine Kastration gibt es zu Genüge. Allerdings werden diese von Laien oft falsch interpretiert oder in unpassenden Zusammenhang miteinander gebracht.
Schauen wir uns die häufigsten Gründe etwas genauer an:
Laut der „Bielefelder Kastrationsstudie“ (2003) entscheiden sich Hundehalter am häufigsten für die Kastration einer Hündin, um gesundheitlichen Problemen (Gebärmuttervereiterung, Gesäugetumoren, Scheinschwangerschaft) vorzubeugen. Ein ebenso häufiger Grund ist die Vermeidung ungewollter Fortpflanzung. Aggressionsprobleme waren bei Hündinnen selten Grund einer Kastration. Bei Rüden hingegen machen medizinische Gründe (Hodentumoren, Kryptorchismus u.Ä.) nur etwa ein Viertel der Kastrationsgründe aus. Am häufigsten wurden Rüden aufgrund ihres Temperamentes bzw. ihrer Sexualität kastriert (Fortpflanzungsvermeidung, Hyperaktivität, Aggressionen, ausgeprägter Sexualtrieb, Rangordnungskämpfe u.Ä.). Ein deutlicher Unterschied zu den Kastrationsgründen der Hündinnen also.
Diese und weitere Kastrationsargumente haben wir im folgenden für Sie aufgelistet und ihre Bedeutung bei der Kastrationsentscheidung näher beleuchtet:
„Ich möchte meine Hündin vor einer Gebärmutterentzündung bewahren, sonst stirbt sie daran!“
Dieses Argument ist zwar berechtigt, aber nicht ganz korrekt. Eine Gebärmutterentzündung kann durchaus lebensbedrohlich werden, vor allem, wenn sie zu spät erkannt und/oder behandelt wird. Eine Kastration mit Entfernung der Gebärmutter löst dieses Problem. Denn was nicht mehr da ist, kann natürlich auch nicht erkranken. Wenn sie Ihre Hündin allerdings gut unter Beobachtung haben und bei auftreten typischer Symptome (vermehrtes Trinken, vermehrtes Lecken der Genitalregion, Ausfluss außerhalb der Läufigkeit, eitriger Ausfluss…) umgehend Ihren Tierarzt kontaktieren, kann eine Gebärmutterentzündung auch gut behandelt werden. Mit etwas Glück sogar ohne Operation. Es muss also nicht zwingend jede Hündin kastriert werden, nur weil sich eventuell irgendwann eine Gebärmutterentzündung ausbildet.
„Kastrierte Hündinnen bekommen keine Gesäugetumoren!“
Diese Aussage enthält einen wahren Kern, ist aber nicht ganz korrekt. Es stimmt, dass eine Kastration das Risiko der Tumorbildung im Gesäuge senkt. Allerdings verschwindet dieses Risiko nicht vollständig und auch nur bei frühzeitigen Kastrationen in sinnvollem Maße. Ab ungefähr der 3. Läufigkeit ist kein besonders großer Effekt der Tumorvermeidung mehr zu erkennen. Beachten sollte man außerdem, dass nur etwa 50% der Gesäugetumoren bösartiger Natur sind. Wenn Sie regelmäßig das Gesäuge Ihrer Hündin abtasten und bei auffinden von Umfangsvermehrungen/Knoten umgehend Ihren Tierarzt kontaktieren, kann zeitnah gehandelt werden und eine Kastration zur Tumorprophylaxe ist nicht zwingend notwendig. Sie sollten allerdings engmaschig kontrollieren und rechtzeitig handeln, denn bösartige Gesäugetumoren neigen zu schneller Metastasierung und sind daher durchaus lebensbedrohlich.
„Meine Hündin ist krank, sie wird ständig scheinschwanger!“
Das Gerücht der „bösen“ Scheinschwangerschaft kursiert in vielen Hundeforen und wird oft als Kastrationsgrund herangezogen. Die Hündin müsse darunter psychisch sehr leiden, die Milchbildung des Gesäuges sei schmerzhaft und ungesund und bei jeder weiteren Läufigkeit würde sich das Problem verstärken. Diese Argumente basieren in ihrem Ursprung auf wahren Tatsachen, sind aber leider aus dem Zusammenhang gerissen worden. Es ist durchaus wahr, dass sich Hündinnen im Laufe ihres Zyklusses in einem gewissen Gefühlschaos befinden. Aus diesen vorübergehenden „Hoch“s und „Tief“s ein seelisches Leiden zu schließen, ist aber meist etwas weit hergeholt. Es wird ja auch nicht jede Frau automatisch, während oder nach ihrer Periode, in eine Klinik eingewiesen. Natürlich gibt es die ein odere andere Hündin, die unter Hormoneinfluss übermäßig antriebslos oder gar depressiv wird. Dies sollte aber nicht pauschalisiert werden. Desweiteren ist die Scheinschwanger- bzw. Scheinmutterschaft ein völlig normaler Prozess, der in jedem hündischen Zyklus abläuft. Die Ausprägung unterscheidet sich allerdings von Hund zu Hund. Das Gerücht der mit jeder weiteren Läufigkeit ansteigenden Intensität ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass die 1. und manchmal auch die 2. Läufigkeit einer Hündin oft noch nicht sehr ausgeprägt verlaufen. Ähnlich wie bei pubertierenden Frauen müssen sich die Hormone und ihre Zyklen erst „einspielen“. Entsprechend erscheint die 3. Läufigkeit den Besitzern häufig deutlich intensiver und es wird daraus geschlossen, dass nun jeder weitere Zyklus, inklusive Scheinträchtigkeit, ausgeprägter verläuft als derjenige davor. Zur Schädlichkeit der Gesäugeanbildung lässt sich sagen, dass zwar der hormonell bedingte Umbau des Drüsengewebes das Wachstum von Gesäugetumoren begünstigen kann, aber diese Tumoren auch bei kastrierten Hündinnen entstehen können. Genauso kann eine Entzündung des Drüsengewebes („Mastitis“), sowohl bei unkastrierten, als auch bei kastrierten Hündinnen auftreten. Diese Entzündungen heilen meist ohne Probleme von allein ab. In Einzelfällen kann die Zugabe von Medikamenten notwendig sein. Nach den hormonellen Umbauten bleibt gelegentlich eingelagertes Fett oder Bindegewebe zurück und die Elastizität der Haut lässt nach. Dies ist aber allenfalls ein kosmetischer Makel, keinesfalls jedoch gesundheitsschädlich (vergleiche Hängebusen bei Frauen).
„Meine Hündin hat Zyklusprobleme und sollte daher kastriert werden!“
Zyklusprobleme kommen bei Hündinnen seltener vor, als Besitzer vermuten. Denn zu „Zyklusproblemen“ zählen Laien oft zwei Dinge, die gar kein Zyklusproblem sind: natürlicherweise milder verlaufende 1. und evtl. 2. Läufigkeit, sowie Abweichungen vom mittleren Zyklusabstand. Ersteres ist ein völlig normales Geschehen, da sich der Hormonkreislauf erst einspielen muss. Zweiteres ist nur ein Mittelwert, der über alle Rassen hinweg ermittelt wurde. Werden Sie also nicht gleich nervös, wenn Ihre Hündin nicht auf den Tag genau alle 5 oder 6 Monate läufig wird! Je nachdem, welcher Rasse sie angehört, kann der Abstand zwischen den einzelnen Läufigkeiten deutlich kürzer oder länger sein ohne dass ein individuelles Zyklusproblem vorliegt. Auch der Eintritt in die Pubertät und damit auch Beginn der Läufigkeiten variiert rasseabhängig teilweise stark. Solange sich ein gleichmäßiger Abstand einspielt und die einzelnen Zyklusphasen ohne Komplikationen ablaufen, ist alles in Ordnung. Echte Zyklusstörungen (z.B. verkürzte oder verlängerte Läufigkeit, Störungen der einzelnen Zyklusphasen) sollten natürlich erkannt und untersucht werden. Je nach Ursache (Stress, Stoffwechselstörung, Infektionen, Tumore etc.) ist eine medikamentöse Behandlung möglich oder aber die Kastration Mittel der Wahl.
„Kranke Hoden gehören entfernt!“
Diese Aussage ist vom Grundgedanken her korrekt. Denn Erkrankungen der Hoden sind in den meisten Fällen Tumore. Diese müssen zwar nicht zwingend bösartig sein und bilden auch nur selten Metastasen, können aber durch Ausschüttung von Hormonen (meist Östrogenen) den kompletten Körperstoffwechsel durcheinander bringen. Auch einige andere Hodenerkrankungen (z.B. Hodentorsion, nicht heilende Ekzeme/Abszesse, Hauttumoren am Hodensack) können eine Kastration rechtfertigen. Ob beide oder nur ein Hoden entfernt wird, hängt von der Ausbreitung der Veränderung und weiteren Faktoren ab.
„Kryptorchiden müssen zwingend kastriert werden!“
Im Falle des in der Bauchhöhle oder im Leistenkanal sitzenden Hoden („Hodenhochstand“ /„Kryptorchismus“ / „Hodendystopie) ist diese Aussage korrekt. Hodenzellen, insbesondere die Spermien-produzierenden Fraktionen, benötigen eine etwas kühlere Temperatur für optimalen Stoffwechsel, als es im Körperinneren der Fall ist. Aus diesem Grund findet man Säugetierhoden „außerhalb“ des Körpers. Während der Entwicklung im Mutterleib und einige Tage bis Wochen nach der Geburt „wandern“ die Hoden aus dem Körperinneren an ihren vorbestimmten Platz im Hodensack („Hodenabstieg“). Kommt es während dieser Phase zu Störungen, verbleiben die Hoden in Bauchhöhle/Leistenspalt. Die dort höhere Temperatur stört den Stoffwechsel der Hodenzellen und führt dadurch oft zu einer Entartung dieser Zellen (Tumorbildung), was wiederum den zweiten Hoden bzw. den gesamten Körperstoffwechsel (durch veränderte Hormonbildung) in Mitleidenschaft zieht. Nicht abgestiegene Hoden sollten daher entfernt oder, mindestens 1x jährlich, via Ultraschall auf Abnormalität hin untersucht werden. Ob die Kastration dabei therapeutisch oder prophylaktisch erfolgt, ist ein viel diskutiertes Thema und bedarf, wie jede Kastration, einer Einzelfallentscheidung. Falls der Kryptorchismus nur einseitig ausgebildet ist, kann allerdings der im Hodensack befindliche Hoden an Ort und Stelle belassen werden. So bleiben die nicht ganz unwichtigen Sexualhormone und, wenn gewünscht, auch die Zeugungsfähigkeit erhalten. Zu beachten ist dabei allerdings, dass Kryptorchismus vererbt werden kann und Kryptorchiden daher bei Zuchtverbänden aus der Zucht ausgeschlossen werden. Ebenso stellt dies natürlich eine Art „Mängel“ dar, weshalb entsprechende Welpen i.d.R. mit einem geringeren Verkaufspreis einhergehen.
„Wenn der Hund nicht zur Zucht genutzt wird, sollte er kastriert werden!“
Diese Begründung für pauschale Kastrationen ist aus rechtlicher, ethischer und medizinischer Sicht natürlich nicht haltbar. Bei Hunden gibt es zahlreiche Möglichkeiten eine ungewollte Vermehrung zu verhindern und kein Sex oder keine Schwangerschaft ist selbstverständlich nicht gesundheitsschädlich. Egal ob Straßenhunde, Wildtiere oder der Mensch: einige Individuuen haben nie Geschlechtsverkehr und sind trotzdem kerngesund.
„Mein Hund ist hyperaktiv und dadurch schwer zu erziehen. Nach einer Kastration wird er viel ruhiger und das Training leichter sein.“
Häufig kommen Hundehalter mit dieser Einstellung in die Tierarztpraxis und bitten um einen Kastrationstermin. Nicht selten sogar getriggert durch Aussagen von Freunden oder gar dem Hundetrainer. Bitte nehmen Sie von diesem Gedanken Abstand! Der Aktivitätslevel eines Hundes wird durch Rasse, Haltung, Gesundheitszustand und vieles mehr beeinflusst. Man kann nicht einen Mops mit einem Windhund oder einen Basset mit einem Malinois vergleichen. Genauso wenig einen Junghund mit einem Senior. Wichtig ist auch, wer den Hund einschätzt: ein Tierarzt sieht deutlich mehr Vertreter unterschiedlicher Rassen, als der durchschnittliche Hundehalter auf seinen Gassirunden und kann dementsprechend viel besser einschätzen, ob ein über das typische Maß der Rasse hinausgehendes Verhalten vorliegt. Auch das Verständnis des Halters von „Aktivität“ ist oft unterschiedlich: was für eine Rentnerin „hyperaktiv“ ist, wird ein Sportstudent wohl eher als normal und genau passend für gemeinsame Outdooraktivitäten beschreiben. Ebenso wenig kann der Hund beeinflussen, wie man ihn hält. Wird er artgerecht ausgelastet? Wird zu wenig mit ihm unternommen oder vielleicht sogar zu viel? Ist er geistig und körperlich ausgelastet oder eventuell nur eines von beidem? Hat er gelernt Ruhephasen einzuhalten oder wurde er von Anfang an permanent bespaßt, sodass er selbst nicht abschalten kann? Auch die oft vermutete Schilddrüsenüberfunktion, trifft in den wenigstens Fällen zu. Viel häufiger sieht man in der Praxis einen aktiven unausgelasteten pubertierenden Junghund, dessen Halter die Defizite in Erziehung und Haltung nicht erkennen (wollen). Wenn Sie sich unsicher sind, ob ihr Hund wirklich an einer krankhaften Übererregbarkeit (= Hyperaktivität) leidet, oder es sich vielleicht doch nur um rassetypisches Verhalten handelt, sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Tierarzt oder einem Verhaltenstherapeuten (Tierarzt für Verhaltenstherapie). Nur so können Sie in Erfahrung bringen, ob ein Problem vorliegt und wie Sie dieses ggf. behandeln können. Eine Kastration wird Sie nur in den seltensten Fällen zum Ziel führen, denn sie kann keine Haltungs-/Erziehungsfehler ausbessern und nicht automatisch aus einem extrovertierten sportlichen Hund einen einzelgängerischen Sofaschläfer machen. Natürlich wird ein Fehlen der Selbstsicherheit gebenden und Stoffwechsel ankurbelnden Sexualhormone eine gewisse Gemütlichkeit mit sich bringen, allerdings nicht in dem Maße, wie es meist von Laien vermutet wird.
Informationen zum Temperament und Bewegungsdrang der verschiedenen Hunderassen finden Sie in der Rubrik „Rassen“.
„Mein Hund ist aggressiv. Nach der Kastration wird er viel entspannter sein!“
Dieser Punkt ist, gerade bei Rüden, ein gern angeführter Kastrationsgrund. Ähnlich wie bei der vorangegangenen Aussage zur Hyperaktivität, wird auch hier eine Kastration selten zum Erfolg führen. In einigen Fällen kann sie das Problem sogar verschlimmern. Denn einige Formen aggressiven Verhaltens (z.B. Futteraggression, Angstaggression) werden hauptsächlich durch das Stresshormon Cortisol gesteuert und weniger durch Sexualhormone. Entsprechend bleibt das Problem nach Wegnahme der Sexualhormone bestehen oder kann sich, aufgrund der nun fehlenden Selbstsichereit gebenden Funktion dieser Hormone, noch verstärken. Aggressives Verhalten zur Sicherung des Status (also der Stellung im Rudel), kann sich eventuell verbessern, wenn gleichzeitig intensiv erzieherisch gearbeitet wird. Änliches gilt für aggressives Verhalten aus "Eifersucht" bzw. Ressourcenverteidigung (Lieblingsmensch = wichtige Ressource) heraus gegenüber anderen Hunden oder Menschen (z.B. bei sehr intensiver Hund-Mensch-Beziehung). Aggressives oder aufbrausendes Verhalten im Zuge der Läufigkeit bei Hündinnen wird sich nach einer Kastration natürlich bessern, das es hauptsächlich durch die Sexualhormone ausgelöst wird. Es gibt allerdings auch Hündinnen, die viel Testosteron bilden und dadurch pöbelnd durch die Welt laufen, ein eher maskulines Erscheinungsbild haben und sogar beim Pinkeln das Bein heben. Das Verhalten dieser „Mannsweiber“ wird sich durch eine Kastration verschlimmern, da dann die ausgleichende Wirkung der Östrogene fehlt und die Testosteronwirkung weiter in den Vordergrund rückt. Aggressives Verhalten zur Verteidigung von Jungtieren (eigene oder fremde, Tier oder Mensch) bessert sich selten, da es oft durch äußere Einflüsse („Kindchenschema“, Verhalten der Besitzer) getriggert wird. Beim Rüden kann es sich sogar verschlimmern, da hier auch das Prolaktin („Elternhormon“) eine Rolle spielt, welches durch eine Kastration unbeeinflusst bleibt. Es ist daher enorm wichtig, dass bei Anzeichen aggressiven Verhaltens zunächst geklärt wird, um welche Art Aggression es sich handelt und ob diese überhaupt durch eine Kastration beeinflussbar ist. Ansonsten geht die gut gemeinte operative Maßnahme schnell nach hinten los. Wenden Sie sich dazu am besten an einen gut ausgebildeten Hundetrainer oder einen Tierarzt für Verhaltenskunde.
„Mein Hund ist sehr ängstlich und nervös. Die Kastration wird ihn beruhigen.“
Hier haben wir Nummer 3 der häufigsten „Kastrationsfehler“. Neben Hyperaktivität und Aggression ist die Ängstlichkeit eine der schlimmsten Fallstricke der Hundehaltung. Angst wird hauptsächlich durch das Stresshormon Cortisol gesteuert und ist nur bei Hündinnen während der Läufigkeit in geringem Maße durch Sexualhormone mit beeinflusst. Dementsprechend wird sich ängstliches Verhalten (egal aus welchen Gründen) bei Hündinnen wie bei Rüden durch eine Kastration keineswegs bessern. Ganz im Gegenteil: fallen die Selbstsicherheit gebenden Sexualhormone weg, kann das wackelige Gestell des Selbstvertrauens verängstigter Hund komplett in sich zusammenbrechen. Viel wichtiger als Medikamente oder Operationen ist bei diesen Hunden ein intensives Training der Hund-Mensch-Beziehung und Umweltsicherheit. Es hilft nicht nur die Angst zu lindern oder gar zu besiegen, sondern lastet Hund und Halter sinnvoll aus und macht meist auch noch Spaß. Auch hierfür sind Hundetrainer oder Tierverhaltenstherapeuten Ansprechpartner der Wahl.
„Mein Hund dreht völlig durch, wenn er auf andere Hunde trifft. Die Kastration wird ihm helfen, besser mit anderen Hunden klarzukommen.“
Jeder Hundehalter erlebt es regelmäßig auf seinen Gassirunden: ein fremder oder der eigene Hund fängt bei Sichtkontakt mit anderen Hunden an zu zerren, hüpfen, bellen, pöbeln oder knurren. Die Gründe hierfür sind genauso vielschichtig wie ihre Lösungen. Die Kastration wird dabei allerdings selten hilfreich sein. Zunächst muss analysiert werden, welches Verhalten gezeigt wird und warum das so ist. Angst? Aggression? Neugier? Spieltrieb? Hat der Hund eventuell gar nicht gelernt, mit anderen Hunden umzugehen? Wie jedes Kind im Kindergarten die Interaktion mit „Artgenossen“ lernen muss, so muss auch jeder Hund das selbige lernen. Ein Hund der einzeln gehalten wird und nie mit anderen Hunden zusammenkommt, wird auch bei einer flüchtigen Begegnung beim Spaziergang nicht wissen, wie er sich richtig verhalten soll. Auch die aktuelle Entwicklungsphase (Welpenalter, Pubertät, Erwachsenenalter) spielt natürlich eine Rolle, insbesondere wenn Hormone im Spiel sind. Pubertierende Hunde müssen erst noch herausfinden, was es mit dem anderen Geschlecht auf sich hat, wie man flirtet, dass sich nicht alles nur um Fortpflanzung dreht etc. Wie jugendliche Menschen eben auch. Genauso wichtig ist die Reaktion am anderen Ende der Leine. Denn viele Halter triggern unbewusst das Verhalten Ihres Hundes und verstärken so Probleme. Wie in allen anderen Bereichen des Hundelebens ist eine gute Hund-Mensch-Beziehung sowie ein gewisser Grundgehorsam wichtig. So kann man seinem Hund Selbstbewusstsein geben, ihn bei Fehlverhalten maßregeln, bei vorbildlichem Verhalten bestätigen oder aber ihm Aufgaben abnehmen, weil man signalisiert „Ich habe die Situation unter Kontrolle!“. Training ist hier also das Mittel der Wahl! Eine Kastration kann in solchen Situationen nur bei echter Hypersexualität oder zyklusbedingter Zickigkeit Erfolge bringen.
„Mein Rüde markiert ständig. Spazierengehen macht so keinen Spaß. Eine Kastration wird uns helfen.“
Es ist natürlich unumstritten, dass unkastrierte Rüden deutlich intensiver mit Urin und Kot ihr Revier auf Spaziergängen oder im heimischen Garten markieren. Leider ist dieses Verhalten aber nicht rein sexuell bedingt und kann daher auch nach einer Kastration bestehen bleiben. Wer sich diesen Punkt als Kastrationsgrund ausgesucht hat, wird daher vermutlich nach einer Kastration enttäuscht sein. Selbiges gilt auch für Hündinnen, die gerne markieren.
„Mein Rüde reitet ständig bei seinem Kuscheltier oder unseren Beinen auf. Eine Kastration wird ihm dieses Verhalten austreiben!“
Auch hier erleben Hundebesitzer häufig eine Überraschung, wenn sie ihr Tier kastrieren lassen. Denn Aufreiten ist nicht ausschließlich sexuell geprägt. Es wird auch gerne als Dominanzgeste verwendet. So signalisiert der aufreitende Hund „Hier bin ich Chef!“ Besonders beim Spiel mit anderen Hunden oder im Zusammenhang mit Herrchen, Frauchen oder Kindern kann man diese Dominanzgeste beobachten. Dementsprechend wird eine Kastration nur bei wirklich sexuell motiviertem Aufreiten Erfolge erzielen. Wichtig ist im Hinblick auf dieses Verhalten auch, der Zeitpunkt einer etwaigen Kastration. Denn einige Hunden „merken“ sich den Bewegungsablauf des Aufreitens, speichern ihn als Geste des Stressabbaus und spulen das Verhalten auch nach der Kastration ab, wenn sie es nicht schon zuvor als "Entspannungsritual" taten. Man sieht sie dann insbesondere in oder nach stressigen Situationen (Besuch, Lärm, fremde Umgebung etc.) an Tischbeinen, Decken, Kuscheltieren oder Ähnlichem aufreiten.
„Mein Hund möchte immerzu Hasen jagen. Weniger Testosteron wird ihn von seinem Jagdfieber abbringen.“
Die Hoffnung auf vermindertes Jagdverhalten wird in einem Beratungsgespräch zur Kastration des öfteren angesprochen. Der Gedanke, dass männliche Individuen durch ihr Testosteron Jäger sind und dementsprechend nach einer Kastration das Jagen einstellen, ist allerdings ein Trugschluss. Selbstverständlich bringen männliche Hormone Selbstbewusstsein und einen gewissen Grad an tollkühnem Verhalten mit sich. Jagdverhalten wird aber zusätzlich durch Rasseeigenschaften, Temperament, erlerntes Verhalten und die Erziehung beeinflusst und bleibt daher nach einer Kastration bestehen. Bei manchen Hunden kann sich dieses Verhalten sogar verschlimmern. Man erklärt es sich mit dem Umstand, dass die Energie, die sonst in sexuell motiviertes Verhalten und Interaktion mit anderen Hunden gesteckt wurde, nach einer Kastration in Jagdverhalten „investiert“ wird. Eine geistige und körperliche „Alternativauslastung“ kann in diesen Fällen sehr hilfreich sein. Tipps zur geistigen und körperlichen Auslastung (in- und outdoor) finden sie unter der Rubrik Beschäftigung im „Magazin“.
„Mein Rüde leidet sehr unter läufigen Hündinnen. Es ist besser für ihn, ihn zu kastrieren.“
Der leidende Rüde ist ein häufiger Argumentationsgrund für eine Kastration, ebenso wie für eine Zuchtzulassung. Wenn der eigene Hund tagelang jammern an der Haustüre oder am Gartentor steht, das Essen verweigert oder speichelnd durchs Wohnzimmer tigert, bekommt natürlich jeder Hundebesitzer Mitleid. Die einen Besitzer entscheiden sich deshalb dem Drängen nachzugeben und suchen ihrem Rüden eine Hündin für den Deckakt, die anderen wollen mit einer Kastration dem „Leiden“ ein Ende setzen. Um sich für das vermehren oder züchten mit dem eigenen Hund zu entscheiden, ist diese Argumentation denkbar schlecht. Denn richtige Verpaarung im Hinblick auf Exterieur, Gesundheit, Wesen und Gene des Hundes sind deutlich wichtiger für eine Zuchtentscheidung, als ein jammernder Rüde. Ebenso sollte man genug Hintergrundwissen, Geld, Platz, Zeit und Nerven für ein solch wichtiges Unterfangen besitzen. Im Hinblick auf eine Kastration muss man klar zwischen normalem Verhalten bzw. ein bisschen „Liebeskummer“ und krankhaftem Sexualtrieb unterscheiden. Wirklich hypersexuelle Tiere (Rüden wie Hündinnen) findet man eher selten. Viel öfter handelt es sich um unausgelastete Tiere, die ihre volle Energie in die nahegelegenste Sache stecken oder die (noch) nicht gelernt haben, mit ihren Hormonen und dem anderen Geschlecht umzugehen. Hundetrainer und Tierärzte können hier wichtige Hilfestellung leisten, um die Situation richtig einzuschätzen. Solange Hunde sich in der Pubertät befinden (ca. bis zum 2./3. Lebensjahr) oder noch nicht wirklich viel Kontakt mit anderen Hunden (insbesondere läufigen Hündinnen) hatten, kann man nicht erwarten, dass sie tiefenentspannt reagieren, wenn Läufigkeitsduft oder Testosteron in der Luft liegen. Geben Sie Ihrem Hund Zeit, diese wichtigen Dinge zu lernen! Das bringt ihn in seiner Entwicklung weiter und schweißt auch das Hund-Mensch-Team enger zusammen, wenn man diese aufregende Zeit gemeinsam durchsteht. Denken Sie in diesen Momenten an Ihre eigene „wilde Jugend“ zurück. Sie werden sicherlich Parallelen erkennen. Wichtig ist dabei auch, dass Sie den „Liebeskummer“ nicht unbewusst verstärken. Lenken Sie ihren Rüden mit viel Spiel, Training und Spaziergängen ab. Das macht Spaß und bringt ihn auf andere Gedanken. Wie Sie das Sexualverhalten Ihres Rüden austesten können, erklären wir Ihnen im Abschnitt „Alternativen zur Kastration“.
„Mein Rüde entwischt ständig aus dem Garten, um läufigen Hündinnen nachzustellen. Wir müssen dieses Verhalten mit einer Kastration unterbinden.“
Wer denkt, eine Kastration ersetzt Aufsichtspflicht oder Gartenzaun, der sollte ernsthaft überlegen, die Hundehaltung aufzugeben. Eine Kastration kann keine adäquate Hunderziehung ersetzen! Das muss an dieser Stelle nochmals deutlich erwähnt werden. Wer nicht in der Lage ist, auf seinen Hund aufzupassen, egal ob Rüde oder Hündin, der kann nicht nur ungewollte Fortpflanzung, sondern auch Zusammenstöße mit Autos, Beißereien oder tote Nachbarshühner nicht vermeiden. Das gefährdet nicht nur den Hund, sondern auch alle Individuen in seinem Umfeld. Es ist ebenso ein Trugschluss zu meinen, dass ein Hund nach der Kastration denkt „Jetzt lauf ich nicht mehr weg.“. Es gibt viel mehr Gründe einen kleinen Ausflug zu unternehmen, als nur ein Date mit der Nachbarshündin. Wer einmal gelernt hat, dass die Grundstücksgrenze kein Hindernis darstellt, der wird es immer wieder versuchen. Kastration hin oder her. Das Lösungswort für solche Situationen lautet „Training“! Suchen Sie sich einen kompetenten Hundetrainer. Dieser wird Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Weitere häufig erwähnten Mythen und Fakten rund um die Kastration klären wir im Abschnitt „Folgen einer Kastration“.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Kastration?
Den richtigen Zeitpunkt für eine Kastration bei Rüde oder Hündin finden, erfordert einige Überlegungen.
Folgende Aspekt gilt es im Hinblick auf den richtigen Zeitpunkt der Kastration zu klären
Hat man sich für die Kastration des Hundes entschieden, stellt sich natürlich als nächstes die Frage des besten Zeitpunktes. Um diese Frage zu beantworten, sind 2 Überlegungen wichtig:
- Handelt es sich um einen Rüden oder eine Hündin?
Rüden kann man theoretisch jederzeit kastrieren. Es gibt zwar Erkenntnisse aus der Forschung, dass auch bei Haushunden, wie bei ihren wilden Verwandten, ein jahreszeitliche Schwankung der Testosteronkonzentration und damit auch der Spermienproduktion existiert, dies scheint aber kaum Auswirkungen auf den besten Kastrationszeitraum zu haben.
Bei Hündinnen existiert hingegen ein relativ genau definiertes Zeitfenster für den besten OP-Zeitpunkt. Dieses liegt bei etwa 3-4 Monaten nach Beginn der Läufigkeit. Denn in dieser Zyklusphase sind die Sexualhormone so zusammengestellt, dass ihre Auswirkungen eine Operation nicht negativ beeinträchtigen. Die Gewebe sind nicht angeschwollen, es existiert keine vermehrte Blutungsneigung, die Infektionsgefahr ist geringer und die Heilung verläuft schneller. Dies ist, u.a., einer der Gründe, warum man sich Beginn und Ende der jeweiligen Läufigkeiten genau notieren sollte. - Aus welchem Grund findet die Kastration statt?
Soll der Hund zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine Hundegruppe, ein Tierheim, eine Pension oder an einen sonstigen Ort gebracht werden, der eine Kastration voraussetzt, muss man sich natürlich im Hinblick auf den OP-Termin nach dem jeweiligen Verbringungsdatum richten.
Liegt eine akute Erkrankung vor, aufgrund derer eine Kastration notwendig ist, sollte natürlich schnellstmöglich kastriert werden.
Möchte man das Risiko der Entstehung von Gesäugetumoren mindern, sollte man möglichst vor der 3. Läufigkeit kastrieren, da der positive Effekt einer Kastration, in Bezug auf diesen Punkt, mit jeder weiteren Läufigkeit abnimmt.
Trifft keiner der genannten Punkte zu, hat man also keinen besonderen „Zeitdruck“, sollte man am besten bis zum Ende der Pubertät mit einer Kastration warten. Wann dies der Fall ist, ist von Rasse zu Rasse und von Hund zu Hund unterschiedlich. Im Mittel kann man sagen, dass Rüde wie Hündin etwa mit Vollendung des 2. bis 3. Lebensjahres ins Erwachsenenalter eintreten. Frühere Kastrationen birgen gewisse Risiken, die es abzuwägen gilt (s. Abschnitt „Folgen einer Kastration“).
Folgen einer Kastration
Was kann die Konsequenz einer Kastration bei Rüde oder Hündin sein?
Mögliche kurz- und langfristige Begleiterscheinungen einer Kastration
Bei der Entscheidung für oder gegen eine Kastration bzw. spätestens nachdem die OP vollzogen ist, müssen sich Hundehalter mit den Folgen einer Kastration beschäftigen. Diese Folgen sind vielfältig, können positiv und negativ sein, gewollt oder ungewollt. Einige davon möchten wir in diesem Abschnitt näher beleuchten und damit weitere Mythen rund um die Kastration besprechen.
Grob kann man die Veränderungen nach einer Kastration in Kurzzeitfolgen und Langzeitfolgen unterteilen. Erstere verschwinden nach wenigen Stunden bis Tagen oder halten u.U. ein paar Wochen an. Letztere treten oft erst einige Zeit nach der Kastration auf und bleiben meist ein Leben lang bestehen.
Zu den Kurzzeitfolgen zählen v.a. Dinge, die allgemein nach jeder Art von Operation auftreten können: allgemeines Narkoserisiko (Zwischenfälle bis ca. 48h nach OP), Schmerzen, Blutungen, Infektionen, Reaktionen auf Nahtmaterial oder Pflaster, Verklebungen verschiedener Gewebe oder auch ein versehentliches Abbinden oder Verletzen der Harnleiter mit entsprechenden Folgen. Auch kurzzeitige Interaktionsprobleme mit Partnertieren, insbesondere Katzen, können auftreten. Dies kann dem veränderten Körpergeruch („Praxismief“) oder auch Schonverhalten aufgrund von Schmerzen geschuldet sein. Art und Intensität der Kurzzeitfolgen hängen vom Hund selbst (Rasse, Alter, Fettgewebsanteil, Vorerkrankungen), Operationsart, Operationsmaterial und Management daheim (Ruhighaltung!) ab.
Langzeitfolgen können sich ebenfalls je nach Hund, Halter und äußeren Umständen unterscheiden, bleiben aber von der Operationsart unbeeinflusst. Zu ihnen zählen verschiedene Dinge, die oft zu einem „Verteufeln“ von Kastrationen führen: Fellveränderungen, Wesensveränderungen, Gewichtszunahme, Inkontinenz, Scheidenentzündungen, Neigung zu anderen Krankheiten (Tumore, Gelenkprobleme), teilweises (vorher nicht dagewesenes) Bedrängen durch Rüden usw.
Fellveränderungen werden vor allem von Haltern gefürchtet, die sich für eine bestimmte Hunderasse u.a. aus optischen Gründen entschieden haben. Denn wenn man sich einen seidig glänzenden Collie zulegt, mit dem man vielleicht sogar an Wettbewerben teilnimmt, möchte man natürlich nicht plötzlich mit einem Hund in „Straßenköter“-Optik dastehen. Diese Angst ist nicht ganz unbegründet, gilt aber nicht in jedem Fall. Bisher ist die Ursache möglicher Fellveränderungen (Haarausfall, „Welpenfell“, struppiges/strohiges Fell) nicht gänzlich geklärt. Hunde, die in jungem Alter kastriert werden (< 1 Jahr), behalten gelegentlich ihr jugendliches Fell („Welpenfell“), das meist wuscheliger/weicher/voluminöser ist, als das erwachsener Vertreter dieser Rassen, und sich teilweise auch in der Färbung unterscheiden kann. Insbesondere bei Rüden kann dieses Fell auch stumpfer erscheinen, da seidiges Fell viel von der Talgproduktion abhängt und diese u.a. durch Testosteron gesteuert wird. Nimmt man diesen Hunden also vor Abschluss ihrer Entwicklung durch eine Kastration einen Teil ihrer Hormone, kann sich auch die Fellentwicklung u.U. nicht richtig ausbilden oder verzögert sich deutlich. Richtige Fellveränderungen im Sinne von Vorher-Nachher-Vergleichen finden wir fast ausschließlich bei Hündinnen langhaariger Rassen, insbesondere mit rötlicher Färbung (z.B. Irish Setter). In diesen Fällen kann mit Hormonpräparaten gearbeitet und der ursprüngliche Fellzustand weitestgehend wiederhergestellt werden. Spielen Sie also mit dem Gedanken Ihren Setter, Collie oder Afghanen kastrieren zu wollen, sollten Sie sicherheitshalber bis zum Abschluss der Pubertät damit warten oder mit Ihrem Tierarzt den Einsatz von Hormonpräparaten besprechen.
Wesensveränderungen sind mindestens genauso gefürchtet, wie Fellveränderungen, treten aber deutlicher seltener auf, als in Hundeforen berichtet wird. Zunächst muss man dabei klären, was man unter einer Wesensänderung versteht. Das Wesen eines Hundes, also die Art wie er sich verhält, seine Vorlieben, sein Maß an Offenheit/Umgänglichkeit usw., kann eigentlich nur durch zwei Dinge grundlegend und plötzlich verändert werden: durch eine Beeinträchtigung des Gehirns (Tumor, Infektion, Verletzung, Demenz etc.) oder durch ein starkes Trauma (Misshandlung, Todesangst bei Naturkatastrophen/Krieg/Unfall etc.). Eine Kastration zählt zu keinem dieser Punkte, auch wenn sie von einigen Menschen gelegentlich so katastrophal dargestellt wird. Sie kann nicht plötzlich aus einem Balljunkie einen Ballhasser oder aus einem verkuschelten Hund einen Menschen-ignorierenden Einzelgänger machen. Was Besitzer oft als Wesensveränderung beschreiben, sind meist Folgen der veränderten Stoffwechsellage, Verstärkung vorher schon vorhandener Probleme (Angst, Aggression) oder zufällig zeitlich in Zusammenhang mit der Kastration auftretende andere Erkrankungen.
Zu ersterem zählen Fettleibigkeit und damit einhergehende Trägheit. Durch eine Kastration fallen die Sexualhormone inklusive ihrer Stoffwechsel-ankurbelnden Fähigkeiten weg, Appetit und Gewohnheiten (ständige Leckerliegabe, Portionsgröße des Futters, Kauknochen am Abend, Leber als Sonntagsbraten) bleiben allerdings gleich. So frisst der Hund wie gewohnt weiter, verbrennt aber weniger Kalorien und setzt dadurch mehr an. Mehr Körperfett bedeutet aber auch mehr Belastung für Gelenke, Herz und Kreislauf, mehr Trägheit und damit weniger Bewegung, höheres Narkoserisiko, weniger Hitzetoleranz usw. Diesem Zustand sollte also unbedingt mit Reduktion der Futtermenge, Wechsel auf ein kalorienreduziertes Futter (z.B. spezielles Futter für kastrierte Hunde) oder adäquater Bewegung entgegengewirkt werden! Geben Sie einem bettelnden Hundeblick und dem gemütlichen Sofaplatz nicht nach, wird Ihr Vierbeiner auch nicht zum trägen Rollmops. Hundetrainer und Tierärzte stehen Ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite! Im Zweifelsfall überlegen Sie bitte schon vor der Kastration, ob ihr Hund im persönlichen oder seine Rasse im allgemeinen zu Fettleibigkeit neigt. Wenn dies der Fall ist, sollten sie von einer Kastration eher Abstand halten oder schon vor der Operation Maßnahmen zur Gewichtsoptimierung ergreifen, die sie danach konsequent fortsetzen.
Wesensveränderungen im Sinne von Angst oder Aggression können ebenfalls durch vorherige Überlegungen vermieden oder gelindert werden. Ein Hund, der schon in unkastriertem Zustand zu Panikattacken oder aggressivem Verhalten neigt, sollte möglichst nicht kastriert werden. Denn fallen die Selbstsicherheit bringenden Sexualhormone weg, stürzt er meist noch tiefer in ein Loch aus Angst und Unsicherheit, was die Probleme weiter verstärken wird. Leider kommt es nicht selten vor, dass Hundehalter Angst und Aggressionsgesten ihrer Tiere nicht erkennen oder so lange ignorieren, bis etwas ernsteres passiert. Das bringt Hund und Mensch gleichermaßen in Gefahr und ist unnötiges Leid für den Vierbeiner, das vermieden werden könnte. Solche Hunde benötigen dringend ein hohes Maß an Verständnis, Geduld, Training und Konsequenz, um umweltsicher und sozialkompetent zu werden, insbesondere, wenn eine Kastration z.B. aufgrund gesundheitlicher Probleme unumgänglich ist. Wenden Sie sich dabei bitte an einen Hundetrainer oder Tierarzt mit entsprechendem Fachgebiet, um Fehler zu vermeiden und möglichst effizient ans Ziel zu kommen. Ihr Hund und Ihre Nerven werden es Ihnen danken!
Veränderungen am Urogenitaltrakt sind weitere gefürchtete Langzeitfolgen. Aufgrund des fehlenden hormonellen Einflusses nach einer Kastration, kommt es vor allem bei sehr jung kastrierten Hündinnen zu einer Verkleinerung der Scheide (Vulvaatrophie). Dadurch bilden sich Hautfalten um die Scheide herum bzw. schon vorhandene Falten werden „tiefer“. Durch schlechtere Belüftung, Reibung und Reizung der Haare an diesen Hautsstellen, kann es schnell zu Entzündungen der Haut kommen. Treten diese Entzündungen totz intensiver Pflege immer wieder auf, ist ein chirurgischer Eingriff die beste Lösung.
Die viel diskutierte Harninkontinenz ist nicht, wie in manchen Hundeforen zu lesen, ein reines Kastrationsproblem. Viele Faktoren, wie Rasse, Alter, Übergewicht und verschieden Erkrankungen, können eine Inkontinenz begünstigen. Kastration ist nur einer davon. Direkte Auswirkungen der Kastration liegen zum einen an den geänderten anatomischen Verhältnissen. Fehlt die Gebärmutter, die normalerweise zwischen Enddarm und Blase liegt, können sich Verklebungen des Gewebes (z.B. zwischen Darm und Blase) bilden, wodurch sich die Lage der Blase verändert und die Fähigkeit Urin zu halten verringert wird. Während der Operation ausgelöste Irritationen oder Verletzungen der verschiedenen Gewebe können außerdem zu Zysten- oder Granulombildung führen, was die Blase reizt und den Harndrang fördert. Verletzungen oder Quetschungen von Nervenfasern haben selbigen Effekt. Fehlende Hormonwirkungen nach der Kastration führen zu geringerer Aktivität des Blasenschließmuskels und damit zu Inkontinenz, aber auch zu einer veränderten Stoffwechsellage, die Übergewicht mit sich bringen kann, was ebenfalls eine Inkontinenz begünstigt. Übergewicht ist aber auch ein großes Problem unkastrierter Hunde. Ebenso können andere Eigenschaften nicht kastrierter Tiere die Harnproduktion und -ausscheidung verändern, was deutlich häufiger in Tierarztpraxen zur Diagnose Inkontinenz führt. So gehen verschiedene Erkrankungen mit vermehrtem Trinken und Urinieren einher, z.B. Diabetes mellitus, Morbus Cushing, Morbus Addison, Pyometra, Blasenentzündung Niereninsuffizienz, fiebrige Erkrankungen und Demenz. Genauso können Bandscheibenvorfälle, Veränderungen der Wirbelkörper, Beckenbrüche und andere Erkrankungen des Bewegungsapparates über Beeinträchtigung von Nervenfasern zu Inkontinenz führen. Ebenso wie altersbedingte Gewebeerschlaffung und verringerte Nervenleitfähigkeit. Nicht alle, in die Wohnung pinkelnden Hunde sind also Kastraten. Ganz im Gegenteil. Beseitigung der Grundursache, Chirurgische Eingriffe oder medikamentelle Behandlung der Inkontinenz sind möglich und können betroffenen Hunden wieder ein normales Urinieren ermöglichen. In Fällen, in denen die Therapie nicht ausreicht oder nicht möglich ist, können Windeln und Co. das Leben für Hund und Halter angenehmer gestalten.
Eine weniger bekannte Langzeitfolge ist das erhöhte Tumorrisiko. Aus dem Umstand, dass die frühe Kastration der Hündin einen gewissen Schutzeffekt vor Gesäugetumoren bietet, schließen viele Hundehalter pauschal eine allgemeine Tumorprophylaxe. Dem ist leider nicht so. Denn Kastration kann zwar vor Tumoren an den Geschlechtsorganen und dem Gesäuge schützen, begünstigt aber im Gegenzug auch einige Tumorarten, z.B. Prostatattumoren, Perianaltumoren, Osteosarkome, Hämangiosarkome, Lymphome/Lymphosarkome, Mastzelltumoren und Übergangszellkarzinome.
Auch andere Erkrankungen können indirekt durch eine Kastration begünstigt werden. Grund hierfür sind zum Teil Wegfall der Hormonwirkungen, zum Teil aber auch Gewichtszunahmen und Trägheit. So leiden kastrierte Tiere häufiger an Kreuzbandrissen, Patellaluxationen, Diabetes mellitus oder Immunerkrankungen. Auch kommt es zu einem späteren Wachstumsfugenschluss bei sehr früh kastrierten Tieren, wodurch die Gliedmaßen länger wachsen können und sich ein Ungleichgewicht im Bewegungsapparat ausbilden kann. Auch erhöht dies natürlich das Risiko einer Verletzung der Wachstumsfugen und nachfolgend einer Fehlbildung der Knochen. Insbesondere großwüchsige Rassen sollten daher nicht zu früh kastriert werden. Inwieweit eine Kastration Ellbogen- und Hüftgelenksdysplasie begünstigen kann, ist noch nicht ausreichend geklärt. Ein Zusammenhang mit Frühkastration (s. unten) wird vermutet. Übergewicht ist für diese Erkrankungen ebenfalls Gift, daher sollte bei ED-/HD-erkrankten Hunden unbedingt das Fütterungsmanagement nach Kastration angepasst werden.
Probleme mit dem Bewegungsapparat sind nicht die einzigen negativen Auswirkungen einer Frühkastration bei Hündinnen und Rüden. Frühkastration bedeutet hierbei eine Kastration vor dem Pubertätsende, also während der Pubertät oder sogar noch davor. In einigen Ländern werden Hunde, insbesondere im Rahmen von Kastrationsprojekten zur Streunerprävention, teilweise schon im Alter von wenigen Wochen kastriert. Die meisten Hundehalter lehnen dies aus ethischer und gesundheitlicher Sicht ab. Würde man die selben Hundehalter fragen, ob eine Kastration mit 6 Monaten, 9 Monaten oder 1 Jahr für sie in Ordnung wäre, würde die Antwort meistens „ja“ lauten. Und das obwohl diese Hunde ebenfalls noch „Kinder“ sind. Auch diese Hunde befinden sich noch im Wachstum, haben noch keine vollständige geistige und körperliche Entwicklung durchgemacht und müssen noch lernen, mit sich selbst und ihrer Umgebung zurechtzukommen. Der Pubertätsstart beginnt mit dem Aktivwerden der Sexualhormone durch Produktion und Ausschüttung des Regulationshormones GnRH im Gehirn. Die Sexualhormone ihrerseits sind nicht nur für die Herstellung der Geschlechtsreife und Produktion der Keimzellen verantwortlich, sondern regen die Aktivierung weiterer Hormonkreisläufe an. Dazu zählen v.a. Wachstumshormone, die die Reifung verschiedener Zellen und Gewebe steuern. So entwickeln sich nicht nur die Geschlechtsorgane, sondern auch das Längenwachstum wird gesteuert (über den Wachstumsfugenschluss), Gelenke bekommen ihre endgültige Form und Rüden „legen sich aus“, sprich sie bekommen kräftigere Muskeln und festeres Bindegewebe. Genauso macht auch das Gehirn mit seinen vielen verschiedenen Funktionsbereichen eine enorme Entwicklung durch, sodass rationaler gehandelt werden kann und keine kindlichen Kurzschlussreaktionen oder allzu naives Verhalten mehr erfolgt. Nun überlegen Sie was geschieht, wenn man inmitten dieser wichtigen Reifungs- und Umbauprozesse einen plötzlichen Stopp (durch Kastration) einlegt. Der Körper wird sich zwar neu organisieren und den Hormonabfall gut „verarbeiten“, einzelne Prozesse werden allerdings unvollendet bleiben. Die Folgen sind, je nachdem in welcher Entwicklungsphase kastriert wird und wie gut der Körper kompensieren kann, unterschiedlich. Von schlaksiger Figur, weil sich die Wachstumsfugen zu spät schließen (s.o.), über fehlende „männliche“ Figur der Rüden bis zu Gelenkprobleme, weil die Gelenkentwicklung gestört wird, ist einiges möglich. Frühkastraten zeigen außerdem häufig einen Hang zu sprunghaftem Verhalten, können weniger souverän Situationen meistern und sind mitunter ängstlicher oder aggressiver als vergleichbare Artgenossen. All diese Veränderung müssen nicht, aber können auftreten und wenn dies geschieht, ist eine Vorhersage der Intensität nicht möglich. Es ist daher, wenn nicht aus medizinischem oder übergeordnetem Grund notwendig, von einer Frühkastration abzuraten. Problematisch ist dabei allerdings die Definition des Pubertätsendes. Die meisten Rassen beenden ihr Wachstum zwar mit 12-15 Monaten, keinesfalls aber die Reifung ihrer Organe einschließlich des Gehirns. Wirklich erwachsen sind Hündinnen und Rüden meist erst im Alter von 2-3 Jahren. Bestenfalls sollte also eine Kastration aus Entwicklungssicht nicht vor dem dritten Lebensjahr erfolgen, oder zumindest nicht vor dem ersten. Hundetrainer, Tierärzte und Verhaltenstherapeuten (Tierärzte mit Fachgebiet Verhaltenskunde) können bei der Einschätzung des Entwicklungsstandes wertvolle Hilfe leisten. Wenden Sie sich an diese Experten, falls sie sich hierbei unsicher sind.
Ein Phänomen, das ebenfalls in Zusammenhang mit der Kastration auftreten kann, ist plötzliche „Attraktivität“. Das heißt, ein Hund, der vor Kastration kaum interessant für andere Hunde, insbesonere Rüden, war, kann nach der OP plötzlich sehr interessant für selbige werden. Besitzer berichten über nachlaufende Hunde, viel beschnuppern oder gar bespringen. Wodurch dieses Phänomen ausgelöst wird, ist noch nicht vollständig geklärt. Vermutet wird eine Erhöhung der Rezeptoren, an die normalerweise Sexualhormone binden, und eine Aktivierung dieser durch andere körpereigene Stoffe, wodurch sich möglicherweise der Körpergeruch „hormontypisch“ verändert, obwohl gar keine Sexualhormone im Spiel sind.
All diese Kurz- und Langzeitfolgen müssen bei einer Kastrationsentscheidung bedacht werden. Besprechen Sie am besten mit Ihrer Familie, welche Folgen für Sie akzeptabel wären und mit Ihrem Tierarzt, welche Veränderungen bei Ihrem Hund zu erwarten wären. So können Sie „Überraschungen“ nach einer Kastration weitestgehend vermeiden und sicher sein, die richtige Entscheidung zu treffen.
Alternativen zur Kastration
Welche Möglichkeiten bleiben neben der Kastration beim Hund?
Alternativlösungen zur Kastration beim Hund
Wie Sie hoffentlich im vorangegangenen Text gelernt haben, ist eine Kastration nicht pauschal für jeden Hund wichtig und richtig. Daher stellt sich natürlich die Frage nach Alternativen. Im Grunde genommen gibt es nur zwei alternative Möglichkeiten:
- der Hund bleibt unkastriert und behält damit alle seine Eigenarten, wird sie während der Pubertät zur Weißglut treiben und eventuell abundzu mit anderen Hunden aneinander geraten, aber leidet dafür nicht an kastrationsbedingten Folgeerkrankungen und kann sich naturgemäß entwickeln.
- der Hund wird mittels Hormonimplantat (Deslorelin) vorübergehend (6 oder 12 Monate) unfruchtbar gemacht, inklusive aller typischen Kastrationsfolgen, aber ohne Verlust von Organen.
Möglichkeit 2. bezieht sich auf das Präparat „Suprelorin“. Dieses entspricht einem körpereigenen Hormon (GnRH, s. Abschnitt zur Frühkastration), welches die Produktion von Sexualhormonen reguliert und ist für Rüden sowie Frettchen zugelassen und getestet worden. Die Anwendung bei Hündinnen und anderen Tierarten ist möglich, wurde vom Hersteller allerdings nicht angedacht und daher auch nicht untersucht. Etwaige negative Folgen sind deshalb nicht auszuschließen. Ebenso ist noch unklar, ob die vorübergehende „Kastration“ mittels Deslorelin den gleichen Tumor-begünstigenden Effekt hat, wie eine klassische, dauerhafte Kastration. Suprelorin bietet aber eine sehr gute Möglichkeit der Kastrationsentscheidung, da man seinen Rüden in „kastriertem“ Zustand mehrere Monate beobachten und anschließend entscheiden kann, ob die Veränderungen gut oder schlecht waren und entsprechend eine Kastration sinnvoll oder eher unglückbringend wäre. Die Gabe von Suprelorin erfolgt als Injektion unter die Haut (typischerweise zwischen die Schulterblätter) und kann beliebig oft wiederholt werden.
Sie sehen also, eine Kastration ist immer eine Einzelfallentscheidung und sollte keinesfalls pauschal erfolgen. Operationsart, Eigenschaften des Hundes, Kurz- und Langzeitfolgen, sowie Kastrationsalternativen spielen bei der Entscheidung für oder gegen eine Kastration/Sterilisation eine wichtige Rolle. Was für einen hypersexuellen Jack-Russel-Terrier die beste Entscheidung sein kann, ist für einen übergwichtigen ED-erkrankten Golden Retriever womöglich eine Langzeitqual.
Besprechen Sie alle wichtigen Faktoren mit Ihrer Familie, Ihrem Hundetrainer, Ihrem Tierarzt und ggf. einem Verhaltenstherapeuten, um eine sichere Entscheidung zu treffen und nichts zu überstürzen. Ihr treuer Begleiter wird es Ihnen danken!
Quellen:
https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html
„Kastration und Verhalten beim Hund“, Strodtbeck/Gansloßer, 3. Auflage 2016, Müller-Rüschlikon-Verlag
Virbac Repro-Symposium
Hat dir der Inhalt gefallen? Dann teile ihn doch auch mit anderen: