Hormonchip beim Hund – sinnvolle Alternative oder schädlicher Eingriff?

Der Hormonchip (Kastrationschip) für den Hund ist eine Kastration auf Probe

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Zuletzt aktualisiert am: 6.3.2024

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Das wichtigste in Kürze

  • Hormonchip wird auch Kastrationschip oder Suprelorin Chip genannt
  • Der Hormonchip für den Hund dient der Kastration auf Probe
  • Zeitlich begrenzte Kastration beim Hund via Hormonchip für 6 bis 12 Monate
  • Sexualtrieb und Fruchtbarkeit werden durch den Wirkstoff Suprelorin reduziert
  • Mehrfache Anwendung bei nachlassender Wirkung der chemischen Kastration möglich
  • Vorteil Hormonchip vs. Kastration = kein irreversibler Eingriff 
  • Studienergebnisse bestätigen: Der Kastrationschip ist für den Hund ungefährlich

Die Themen Läufigkeit, Scheinträchtigkeit, Hypersexualität und Aggression gegenüber Artgenossen bringen Hundehalter immer wieder an den Rand der Verzweiflung.

Oft wird die chirurgische Kastration als einzige Lösung angesehen. Doch dieser Gedanke ist weit gefehlt!

Denn sie ist kein Allheilmittel und ein chirurgischer Eingriff ist auch nicht immer zwingend notwendig.

Fakten und Mythen rund um das Thema Kastration haben wir bereits in einem ausführlichen Artikel für Sie zusammengestellt.

Nun möchten wir uns das Thema Hormonchip (Kastrationschip) etwas genauer anschauen: Ist er eine sinnvolle Alternative zur chirurgischen Kastration? Wie wirkt er und was ist zu beachten? Was kann er noch alles?

In den nachfolgenden Ausführungen finden Sie nun alle Informationen zur Kastration auf Probe via Hormonchip direkt aus erster Hand von der Tierärztin, mit praktischen Tipps und To-dos. Viel Spaß beim Weiterlesen!

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Was ist ein Hormonchip für den Hund?

Ein gepresstes Medikament, das unter die Haut gesetzt wird.

"Hormonchip" - ein kleines Medikament mit großer Wirkung

Als Hormon- oder Kastrationschip wird das Präparat Suprelorin® der Firma Virbac bezeichnet.

Dabei handelt es sich um ein sogenanntes GnRH-Analogon, also einen synthetischen Zwilling des körpereigenen Gonadotropin-Releasing-Hormons (Gonadoliberin, GnRH).

Dieses ist in eine Chip-ähnliche Form gepresst (vergleichbar mit einem Reiskorn) und kann via Kanüle einem Tier, z.B. Hund, verabreicht werden.

Dieser „Chip“ ist also kein Chip im Sinne eines runden Einkaufschips oder eines metallenen Computerchips, sondern ein in kleine Form gepresstes Medikament.

Er wird in zwei Versionen angeboten: 4,7mg und 9,4mg, mit entsprechend unterschiedlicher Wirkdauer („Halbjahreschip“ und „Jahreschip“).

Mittels mitgelieferter Kanüle wird der Chip unter die Haut (subkutan) gesetzt. In der Regel im Nacken-/Schulterbereich, da dort viel Platz und wenig Schmerzrezeptoren vorhanden sind.

Soll der Chip vor dem eigentlichen Wirkende wieder entfernt werden (anstatt sich selbst aufzulösen), wird er gern in der Nähe des Bauchnabels oder in der Flanke gesetzt, da er dort leichter zu finden und zu entfernen ist. 

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Wie wirkt der Hormonchip für den Hund?

Der Hormonchip arbeitet wie ein Zwilling des körpereigenen GnRH-Hormons.

Die Wirkweise des eingesetzten Hormonchips im Körper des Hundes

GnRH ist ein wichtiges Hormon im Körper von Lebewesen, so auch bei Hund und Mensch. Es steuert die Fortpflanzung, sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Individuen. Es wird im Hypothalamus (spezieller Hirnteil) gebildet und in einem bestimmten Rhythmus, u.a. abhängig vom Fortpflanzungsstadium des Tieres, freigesetzt. Man spricht auch von pulsatiler Freisetzung („Impuls-gesteuert“). 

Hauptaufgabe des GnRH ist es, an Rezeptoren der Hypophyse (Hirnanghangdrüse) anzudocken und dadurch die Freisetzung der Sexualhormone (Gonadotropine) LH und FSH zu bewirken. Da GnRH pulsatil freigesetzt wird, werden auch LH und FSH im entsprechenden Rhythmus freigesetzt. Auch die Menge wird durch GnRH gesteuert: bindet viel GnRH, wird viel LH/FSH freigesetzt.

FSH ist das sogenannte follikelstimulierende Hormon bzw. Follitropin. Es ist bei weiblichen Tieren für die Follikelbildung und -reifung und damit den Eisprung zuständig. Bei männlichen Tieren stimuliert es die Spermienproduktion.

LH ist das sogenannte luteinisierende Hormon bzw. Luteotropin. Es sorgt für die Bildung bzw. Freisetzung weiterer Sexualhormone (Östrogen, Testosteron), die den Sexualzyklus und die Fortpflanzung steuern.

Der im Suprelorin®-Chip enthaltene Wirkstoff Deslorelin ist ein fast identischer Zwilling des körpereignen GnRH und kann damit an die gleichen Rezeptoren binden. Entsprechend löst es die gleichen Reaktionen im Körper aus. Einziger Unterschied ist, dass Deslorelin kontinuierlich in kleinen Mengen aus dem „Chip“ herausgelöst wird und nicht pulsatil, wie körpereignes GnRH, freigesetzt wird und die Wirkung deutlich stärker ausfällt. Das ist wichtig, da sonst die erwünschten Effekte des Medikamentes nicht möglich wären, sondern es zu ständigen Hormonschwankungen kommen würde. Diese Effekte umfassen eine Unterbrechung des Sexualzyklus, Unterdrückung der Fortpflanzungsfähigkeit und Verhinderung Sexualhormon-abhängiger Verhaltensweisen.

Offizielle Anwendungsgebiete laut Packungsbeilage sind:

  • Rüde: Zur Erzielung einer vorübergehenden Unfruchtbarkeit bei gesunden, unkastrierten, geschlechtsreifen Rüden.
  • Präpubertäre Hündin: Zur Erzielung einer vorübergehenden Unfruchtbarkeit zur Verzögerung des ersten Östrus und von Läufigkeitsanzeichen und zur Verhütung einer Trächtigkeit in einem jungen Alter bei unkastrierten und gesunden, nicht geschlechtsreifen Hündinnen. Das Implantat sollte in einem Alter zwischen 12 und 16 Wochen eingesetzt werden.
  • Kater: Zur Erzielung einer vorübergehenden Unfruchtbarkeit und Unterdrückung von Uringeruch und Sexualverhalten wie Geschlechtstrieb, Lautäußerung, Urinmarkierung und Aggressivität bei unkastrierten Katern ab einem Alter von 3 Monaten.“

Hat sich der Wirkstoff komplett aus seiner Verbindung gelöst, entsprechend gewirkt und wurde abgebaut, ist die Wirkung des „Chips“ vorüber. Entsprechend verlängert sich die Wirkdauer mit der Menge des Wirkstoffes. Daher wirkt der 4,7mg-Chip länger als der 9,4mg-Chip. Für ersteren ist eine Wirkdauer von mindestens sechs Monaten angegeben, für letzteren von mindestens zwölf Monaten. Die Wirkdauer ist allerdings individuell unterschiedlich. Von kleineren Hunderassen sind Wirkdauern von bis zu zwei Jahren bekannt. 

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Unterscheidet sich die Wirkung des Hormonchips von der einer chirurgischen Kastration?

Vom Prinzip ist die Wirkung von einem Hormonchip für den Hund und der Kastration dieselbe.

Nahezu die gleiche Wirkung beim Hormonchip wie der Kastration

Prinzipiell ist die Wirkung des Hormonchips identisch mit der Wirkung einer chirurgischen Kastration. Es gibt nur zwei Unterschiede:

  • der Chip und seine Wirkung sind nicht von Dauer. Das heißt, eventuelle negative Auswirkungen, z.B. Gewichtszunahme, Inkontinenz, Angst- und Aggressionsprobleme sind reversibel. Hat sich der Chip aufgelöst, benimmt sich das Tier wie zuvor und auch der Körper geht in den Ausgangszustand zurück. Eine chirurgische Kastration hingegen ist unwiderruflich und entsprechende Wirkungen bleiben lebenslang erhalten. Da sich viele Verhaltensweisen, entgegen der Meinung vieler Hundebesitzer, durch eine Kastration nicht ändern und einige sich sogar verschlimmern können (s. Kastrationsartikel), bietet der Hormonchip eine tolle Möglichkeit, eine „Kastration“ zu testen. Gefällt einem das Ergebnis, kann wiederholt mittels Chip oder endgültig chirurgisch kastriert werden. Gefällt das Ergebnis nicht oder hat sich nichts verändert, wartet man das Ende des Chips ab und alles ist wie zuvor. Andere Therapieansätze, z.B. Verhaltenstherapie, können dann zur Problemlösung genutzt werden.
  • der Chip kann, muss aber nicht, in den ersten zwei Wochen zu einer Steigerung hormonbedingten Verhaltens führen („flare up“). Denn durch die GnRH-Wirkung kommt es zunächst zu einem LH- und FSH-Anstieg mit entsprechenden Wirkungen, bis sich der Körper auf die Daueranwesenheit von „GnRH“ (= Deslorelin) eingestellt hat. Schnüffeln, Markieren, Aggression zwischen männlichen Tieren u.Ä. können sich also kurzzeitig verschlimmern, was man entsprechend beachten muss. Bei einer chirurgischen Kastration ist dies nicht der Fall, da keine Geschlechtsorgane mehr vorhanden sind, die auf einen LH- und FSH-Anstieg reagieren könnten bzw. kaum/kein LH/FSH-Anstieg entsteht.

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Woran erkenne ich, dass der Hormonchip für den Hund wirkt?

An dem veränderten Verhalten und körperlichen Veränderungen.

Der Hormonchip bewirkt psychische und physische Veränderungen

Auf psychischer Ebene erkennt man die erfolgreiche Wirkung durch Wegfall sexuell motivierten Verhaltens. Dazu zählen zum Beispiel intensives Schnüffeln, Harn- oder Kotmarkieren, starkes Interesse am anderen Geschlecht, geschlechtsspezifische Aggression usw. Aufreiten/Rammeln/Besteigen ist seltener hormonell bedingt als allgemein angenommen wird und bessert sich daher selten (näheres dazu in unserem Kastrationsartikel).

Auf körperlicher Ebene ist die Wirkung am einfachsten anhand der Größe der Geschlechtsorgane erkennbar. So schwellen Scheide und Hoden ab. Werden die Hoden langsam wieder größer, erkennt man die nachlassende Wirkung des Chips.

In unklaren Fällen kann eine Blutuntersuchung, zum Beispiel Bestimmung des Östrogen- oder Testosteronspiegels, Klarheit bringen.

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Ist der Hormonchip für den Hund gefährlich?

Nein - der Hormonchip ist für den Hund ungefährlich.

Studien bestätigen die Ungefährlichkeit des Hormonchips für den Hund

Nein, der Hormonchip ist nicht gefährlich.

Ängste bestehen oft vor dem Wort Chip und der Assoziation mit einem Computerchip, vor dem Wirkstoff selbst, einer lebenslangen Wirkung oder einer Schädigung des Hundes durch die Injektion.

Dass der Chip kein Chip im Sinne eines technischen Gerätes ist, wurde oben schon erklärt (s. 1.).

Ebenso dass der Wirkstoff einem körpereignen Hormon entspricht und gleiche Wirkung hat, also keine schädlichen Aktionen auslöst (s. 2.).

Er wird auch nicht dauerhaft im Körper gespeichert, sondern abgebaut und über den Harn ausgeschieden. Demnach kann man diese Ängste getrost vergessen. Wie unter Punkt 3 erklärt, ist die Wirkung nur von begrenzter Dauer und ohne Langzweitwirkung.

Damit auch ohne Langzeitschäden.

Dies wurde in verschiedenen Studien an verschiedenen Tierarten getestet und ist auch aus der Praxis hinreichend bekannt.

Schäden durch die Injektion sind nur minimal (durch den Einstich in der Haut) und verheilen wie ein kleiner Nadelstich. An anderen Geweben entsteht kein Schaden, da der Chip stehts unter die Haut (subkutan) gesetzt wird und die Kanüle daher keine Muskeln, Knochen oder inneren Organe erreicht. Lediglich lokale Reizungen, ein kleiner Bluterguss oder Juckreiz an der Injektionsstelle sind möglich. 

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Was ist bei der Anwendung eines Hormonchips zu beachten?

Lebensalter/Entwicklungsstand, Karenz bis zur vollständigen Wirkung und Wirkweise bei übergewichtigen Hunde beachten.

Wertvolle Tipps rund um die Anwendung des Chips beim Hund

Zu beachten sind im Wesentlichen drei Dinge:

  • der Chip sollte nur bei Tieren angewandt werden, deren körperliches Wachstum abgeschlossen ist, um eine Reifung des Körpers, zum Beispiel des Bewegungsapparates, nicht zu unterbrechen oder zu unterdrücken. Ausnahme ist eine erwünschte Wirkung im Jungtieralter (z.B. Verschiebung der 1. Läufigkeit, s. 1.).
  • der Chip wirkt nicht sofort, sondern benötigt, je nach Individuum, vier bis acht Wochen, bis die komplette Wirkung einsetzt (zum Beispiel am Schrumpfen der Hoden zu erkennen, s. 4.). Außerdem ist eine „Erstverschlimmerung“ des hormonellen Verhaltens in den ersten zwei Wochen möglich (s. 3.)
  • bei übergewichtigen Tieren kann es zu einer verminderten oder gänzlich fehlenden Wirkung kommen, wenn viel Unterhautfett besteht und der Chip in dieses Fettgewebe injiziert wird. Denn dieses umschließt den Chip und ist wenig durchblutet, sodass kein ausreichend hoher Wirkspiegel erzielt werden kann, um die gewünschten Effekte zu verursachen.
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Wofür wird der Hormonchip beim Hund noch eingesetzt?

Weitere Argumente für das Einsetzen eines Hormonchips beim Hund.

Weitere sinnvolle Anwendungen des Hormonchips beim Hund

Neben den unter Punkt 2 genannten Anwendungsgebieten, für die das Medikament seine Zulassung erhalten hat, kann es auch für andere Zwecke genutzt werden, die mit Sexualhormonen in Zusammenhang stehen. Dies wird dann als sogenannter „Off-Label-Use“ bezeichnet. Möglich bzw. bekannt sind beim Hund zum Beispiel:

  • Therapie von Erkrankungen der Prostata (Prostata-Zysten, Prostata-Hyperplasie)
  • Therapie der Alopezie X
  • Behandlung von Zyklusproblemen bei weiblichen Tieren (Dauerläufigkeit, verkürztes Zyklusintervall, ausbleibende Läufigkeit etc.)
  • Induktion (Bewirken) des Eisprungs bei weiblichen Tieren
  • Therapie des Ovarrest-Syndroms (ORS)
  • vorübergehende (!) Erleichterung eines Trainings / einer Verhaltenstherapie
    Hinweis: KEIN Grund für eine dauerhafte Kastration! Die Zeit, bis Wirkende des Chips, sollte zum intensiven Training genutzt werden, um bessere Ergebnisse zu erzielen, die dann nach Auslaufen des Chips ohne weitere Chipgabe / Kastration anhalten

Sie sehen also: der Hormonchip ist eine tolle Erfindung und Bereicherung der Tiermedizin!

Er kann als Testlauf für eine angedachte chirurgische Kastration dienen, als Alternative dazu oder zur Therapie verschiedenster Erkrankungen. Er sollte bei jedem Rüden, für den eine Kastration angedacht ist, ausprobiert werden, um Überraschungen und unwiderrufliche kastrationsbedingte Probleme zu vermeiden. Insbesondere wenn es um Verhaltensauffälligkeiten geht.

Bei Fragen steht Ihnen Ihr Tierarzt gerne mit Rat und Tat zur Seite! Spezielle Fragen richten Sie am besten an einen Tierarzt für Reproduktionsmedizin oder Verhaltenstherapie.

Weitere Fragen rund um den Hormonchip für Hunde

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