Das Aggressionsverhalten von Hunden
Was ist und wie entsteht Aggressionsverhalten?
Von:
Ulf Weber
Zuletzt aktualisiert am: 21.6.2024
- Angriffsverhalten
- Drohverhalten
- Verteidigungsverhalten
Das Entstehen von Aggressionsverhalten, das von Drohungen bis zum Angriff reicht, kann einerseits genetisch erklärt werden, was zur Einführung der "Listen (potentiell) gefährlicher Hunde" führte.
Daneben existieren verschiedene verhaltensbiologischen Lerntheorien, die Aggressionsverhalten erklären. Die operanten Konditionierung erklärt das Entstehen von Aggressionsverhalten unter anderem für Angstbeißer durch negative Verstärkung. In dem Fall dient das Aggressionsverhalten als Vermeidungsverhalten. Aggressionsverhalten kann aber auch durch positive Verstärkung aufgebaut werden. Auch die Therie vom Modellernen kann das Entstehen von Aggressionsverhalten erklären, nämlich durch das Lernen am Modell des Bestrafenden, denn die Verabreichung der Strafe selbst kann als Aggressionsverhalten aufgefasst werden, das sich der Bestrafte vom Bestrafenden abschaut.
Der Begriff Aggression leitet sich vom lateinischen Verb „aggredi“, das mit „auf etwas/jemanden zubewegen“ oder „angreifen“ übersetzt wird bezeichnet Verhalten, das verhaltensbiologisch in einem Zusammenhang mit dem Wettbewerb um Ressourcen wie Nahrung, Lebensraum oder -flächen aber auch sozialer Position steht. Es umfasst daher bereits zur Kommunikation gehörendes Drohverhalten- und reicht bis zu Angriffsverhalten. Zweck der Aggressionen liegen in der Revierverteidigung, im Umgang mit Konkurrenten um Rangordnungsplätze und Sexualpartner sowie im Greifen einer Beute durch einen Fleischfresser zum Nahrungserwerb.
Aus diesem breiten Spektrum an Zielen und Zwecken tierischer Aggression ergibt sich eine Vielzahl möglicher verhaltensbiologischer Erklärungsansätze. Neben der Instinkttheorie von Konrad Lorenz bieten auch die Triebtheorien Erklärungsansätze für Aggressionsverhalten, aber wenig praktische Ansätze zur Verhaltensbeeinflussung durch private Hundehalter. Bedeutender sind hier die verschiedene Lerntheorien und unter diesen vor allem die operante Konditionierung, die das Erlernen von Aggressionsverhalten in der der Umwelt ohne Lehrer oder Trainer erklären kann, aber ebenfalls die Grundlage der hier beschriebenen Methoden moderner Hundeerziehung darstellt. Speziell in Verbindung mit der positiven Strafe stellt die Förderung aggressiven Verhaltens durch Lernen am Modell eines der hier detailliert beschriebenen Risiken der Strafe dar.
Positiv verstärkte Aggression
Die positive Verstärkung definiert sich dadurch, dass als Konsequenz einer bestimmten Verhaltensweise ein als angenehm empfundener Reiz beginnt. So wird beispielsweise das natürliche Aggressionsverhalten eines Wolfs beim Reißen einer Beute durch den danach einsetzenden Reiz, der von der Verfügbarkeit des Futters ausgeht, belohnt und verstärkt.
Die Definition der positiven Verstärkung bedenkend, kann man also sagen, dass positiv verstärkte Aggression einen offensiven, gewissermaßen eroberungsorientierten Charakter hat: Der Reiz, der hinzugewonnen Eroberung stellt die Belohnung dar. Neben dem Reißen und Töten einer Beute zum Nahrungserwerb kann es sich hierbei auch um die Aneignung von „Besitztümer“ anderer handeln: Sei es das Revier eines bereits ansässigen Konkurrenten oder dessen paarungswilliges Weibchen.
Auf dieselbe Art und Weise kann ein Hund von einem Trainer für aggressives Verhalten mit Futter verstärkt oder belohnt werden, beispielsweise zur Ausbildung von Diensthunden der Polizei. In der privaten Hundehaltung kann positiv verstärktes Aggressionsverhalten in der Mehrhundehaltung beobachtbar sein, beispielsweise, wenn ein Hund dem anderen droht oder ihn angreift, um dessen Futter zu erhalten.
Negativ verstärkte Aggression
Immer, wenn in Folge eines Verhaltens ein als unangenehm empfundener Reiz endet, liegt eine negative Verstärkung vor. Bei negativ verstärktem Aggressionsverhalten geht es also weniger um Zugewinn, sondern die belohnende Verstärkung liegt in der Beendigung eines unangenehm bedrohlich-angsteinflößenden, vielleicht sogar konkreten und schmerzhaften Reizes, der beispielsweise von einem drohenden oder angreifenden Artgenossen ausgeht. Das Aggressionsverhalten ist daher in diesem Fall eher defensiven Ursprungs. Die Verhaltensalternative der Flucht besteht für beide Kontrahenten fort.
Aggression als Vermeidungsverhalten
Die Steigerung eines solchen Verhaltens kann als Vermeidungsverhalten bezeichnet werden: Dann soll durch aggressives Verhalten das erneute Auftreten des unangenehmen Reizes, beispielsweise von Wundschmerzen durch einen Angriff, verhindert und der potenziell angreifende Kontrahent von seinem Angriff abgehalten werden. Das hierzu geeignete Aggressionsverhalten reicht von Drohgebärden, die den anderen in die Flucht schlagen sollen, bis zu vorauseilend vorgetragenen Angriffen mit Tötungsabsicht. Letzteres ist vor allen Dingen unter Wölfen gegenüber in ihr Revier eindringenden Wölfen und Hunden bekannt.
Als mögliche Erklärungen, wie ein Individuum lernt, Aggressionen als Vermeidungsstrategien für unangenehme Reize zu nutzen, kommt die klassische Konditionierung einerseits und die Reizgeneralisierung andererseits in Betracht. Die klassische Konditionierung beschreibt, wie zwei Reize miteinander gekoppelt werden, wenn sie gemeinsam auftreten: Ein bedeutender Reiz (beispielsweise der Schmerz) in Verbindung mit einem im unbedeutenden (Anblick eines Artgenossen) auf. Im Ergebnis wird auf Grund der erfolgreichen Konditionierung auf den ursprünglich unbedeutenden, jetzt konditionierten Reiz (der Artgenosse) genauso reagiert, wie auf den unbedingten Reiz (Schmerz). Die Reizgeneralisierung besagt, dass auf ähnliche Reize gleich reagiert wird: Es wird dann nicht mehr zwischen aggressiven und friedvollen Artgenossen unterschieden.
So kann die Einwanderung eines Artgenossen in das eigene Revier genauso unangenehm empfunden werden, wie der Angriff desselben und so zu einem eigenen Aggressionsverhalten führen.
Vermeidungsverhalten gilt als sehr löschungsresistent. Das heißt, dass Vermeidungsverhalten auch dann noch gezeigt wird, wenn die Konsequenz oder der Reiz, den es zu vermeiden gilt, gar nicht mehr auftritt. Bezogen auf Aggressionsverhalten als Vermeidungsstrategie bedeutet das, dass es auch dann gezeigt wird, wenn gar kein Angriff von dem anderen ausgehen wird. Die Löschungsresistenz ergibt sich daraus, dass sich auf Grund der eigenen Aggression eine Situation ergibt, in der dieser Umstand nicht erkennbar und daher nicht lernbar ist.
Bezogen auf einen Haushund spricht man im schlimmsten Fall von einem Angstbeißer. Ein solcher hat die Erfahrung gemacht, dass die eigene Aggression (das Beißen) einen unangenehmen Reiz beendet hat und beißt von nun an, um das Eintreten des unangenehmen Reizes zu verhindern. Gegen wen und was er Aggressionen zeigt, hängt davon ab, womit er den unangenehmen Reiz gekoppelt hat und ob er den Reiz generalisiert hat oder nicht. Wurde der Hund beispielsweise von einem Rüden gebissen, der nach einem Gegenbiss von ihm abließ: Beißt er dann künftig alle Hunde (Generalisierung) oder nur Rüden oder gar nur drohende Rüden (Reizdiskrimination).
Auch Menschen können mit einem aversiven Reiz gekoppelt werden. Darin besteht nicht nur eines der hier detailliert beschriebenen Risiken der positiven Strafe, denn diese besteht darin, dass ein aversiver Reiz als Strafe verabreicht wird. Dieser Reiz kann mit dem bestrafenden Menschen assoziiert werden. Auch der teilweise ungestüme Umgang von Kindern mit Hunden kann für beide schmerzhaft ausgehen. Welche Maßnahmen beitragen, dies zu vermeiden, kann hier nachgelesen werden.
Aggression durch Modelllernen
Neben dem Lernen am Erfolg, das in der operanten Konditionierung seinen Ausdruck findet, kann ein Lebewesen Verhalten auch bei anderen, den Modellen, abschauen. Dieses Modelllernen kann sowohl durch Abschauen bei Artgenossen geschehen, aber auch Menschen können für ihre Hunde Vorbilder sein. Wenn ein Hund also beobachtet, dass ein anderer Hund mit aggressivem Verhalten Erfolg hat, kann er dieses Verhalten kopieren.
Bezogen auf Menschen als Vorbild ist vor allen Dingen die positive Strafe als Gelegenheit zu nennen: Die Verabreichung des unangenehmen Strafreizes stellt eine Art der Aggression dar. Dieses Verhalten kann sich der Hund bei seinem Erzieher abschauen und künftig selbst positive Strafen durch aggressives Verhalten verabreichen.
Wenn der eigene Hund aggressiv ist
Um durch unbedachte Erziehungs- oder Trainingsmaßnahemen den Aufbau aggressiven Verhaltens zu vermeiden oder solches Verhalten abzubauen, empfiehlt sich die Lektüre unserer dreiteiligen Artikelserie
Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
und die Konsultation eines erfahrenen Hundetrainers.
- Wilderei durch den Hund – kein Kavaliersdelikt
- Das Beutefangverhalten von Hunden
- Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
- Hund & Baby - Was muss ich als Hundehalter beachten, wenn ein Baby zu Hause einzieht?
- Lerntheorie II: Clicker- & Targettraining, Shaping & Chaining, Capturing & Co als angewandte Wissenschaft
- Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
Hat dir der Inhalt gefallen? Dann teile ihn doch auch mit anderen: