Vermeidungsverhalten vom Hund
Wie entsteht und was ist Vermeidungsverhalten im Gegensatz zu Flucht und Aggression?
Von:
Ulf Weber
Zuletzt aktualisiert am: 21.12.2023
Das Entstehen von Vermeidungsverhalten wird in der operanten Konditionierung durch negative Verstärkung erklärt und kann sich entweder durch Flucht oder Aggression des Hundes ausdrücken. Es dient der Vermeidung eines unangenehmen Reizes und verhindert so, dass der Reiz beginnt.
In den in diesem Abschnitt des ersten Teils unserer dreiteiligen Artikelserie über die wissenschafltliche Entwicklung der Lerntheorien und ihre praktische Anwendung im Hundetraining beschriebenen Experimenten zur negativen Verstärkung in der operanten Konditionierung wurden Versuchstiere in einer Skinner-Box einem unangenehmen Reiz in Form eines stromführenden Bodens ausgesetzt. Die einzige Möglichkeit, den Reiz zu beenden, bestand für die Tiere darin, sich in einen anderen, nicht unter Strom stehenden Teil der Box zu bewegen und so vor dem aversiven Reiz zu flüchten. Wurde der Strom in zeitlich regelmäßigen Abständen eingeschaltet, war es einigen Versuchstieren möglich, schon vor Beginn des aversiven Reizes das Fluchtverhalten zu zeigen und so den Reiz zu vermeiden. In dem Fall kann von Vermeidungsverhalten gesprochen werden, dessen Grundlage Angst ist.
Vermeidungsverhalten ist sehr löschungsresistent. Da es das Auftreten eines aversiven und unangenehmen Reizes verhindert, wird es selbst dann noch gezeigt, wenn auch ohne das Vermeidungsverhalten kein aversiver Reiz auftreten würde: Die Versuchstiere, die gelernt hatten, schon auf die nicht stromführende Seite der Box zu flüchten, bevor der Strom eingeschaltet wurde, zeigten das Verhalten auch dann noch, wenn gar kein Strom mehr eingeschaltet wurde. Der Grund dafür liegt darin, dass sie diese Änderung nie erfuhren.
Außerhalb eines solchen Versuchs kann verallgemeinernd von Vermeidungsverhalten immer dann gesprochen werden, wenn ein Verhalten geeignet ist, einen unangenehmen Reiz zu vermeiden oder zu vermeiden, dass er noch unangenehmer wird.
So kann auch ein Beispiel, das Konrad Lorenz in den 1930er Jahren zur Widerlegung des Behaviorismus gebrauchte, erklärt werden: Ein Jagdhund, der von einem Jäger beschossen wurde, nahm mit der Kugel im Hinterlauf eine humpelnde Schonhaltung ein, wobei das Humpeln ein Vermeidungsverhalten darstellt, denn es verhindert, dass der Wundschmerz stärker wird. Nachdem die Verletzung ausgeheilt war, begann er immer zu humpeln, wenn er den Knall eines Schusses hörte. Nun zeigte der Hund dasselbe Vermeidungsverhalten, augenscheinlich ohne Grund, aber aus Hundesicht, um die Intensivierung des Schmerzes (der tatsächlich so oder so bei 0 liegt und bleibt) zu vermeiden. In dem Fall wurde der akustische Reiz des Knalls, der zunächst unbedeutend war, mit dem bedeutenden Reiz des Wundschmerzes über klassische Konditionierung verknüpft. Auf diese Weise wurde der Knall zu einem Signal- oder Hinweisreiz, das Humpeln als operantes Vermeidungsverhalten zu zeigen.
Allerdings besteht eines der mit Strafen verbundenen und o. a. und verlinkten Artikelabschnitt detailliert benannten Risiken ebenfalls in der Auslösung von Vermeidungsverhalten. Um den Aufbau von hündischem Vermeidungsverhalten zu vermeiden, soll in der Praxis auf eine Strafe verzichtet werden, wenn der Hund ausbüxt und wieder zurückkommt: Ein Vermeidungsverhalten des Hundes könnte im Extremfall darin bestehen, nicht mehr zurückzukommen.
Einem Hund steht zur Vermeidung eines unangenehmen Reizes außerhalb der oben dargestellten Laborbedingungen neben dem Flucht- häufig auch Aggressionsverhalten zur Verfügung. Besteht der unangenehme Reiz beispielsweise in einem ihn bestrafenden Menschen oder einem anderen, um seine Ressourcen konkurrierenden Hund, kann der Hund auch drohen oder angreifen und somit Aggressionsverhalten statt Fluchtverhalten zeigen.
Die im zweiten Teil der o. a. Artikelreihe detailliert beschriebenen Trainingsmethoden verzichten nicht nur aus diesem Grund auf die Verabreichung unangenehmer Reize und damit auf positive Strafe und negative Verstärkung zur bewussten und planmäßigen Verhaltensformung.
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