Strafe in der Hundeerziehung

Was sind Strafen und mit welchen Risiken wirken sie auf das Verhalten von Hunden?

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Zuletzt aktualisiert am: 18.10.2024

Eine gestromte Bulldogge schaut erwartungsvoll nach oben zu seinem Halter.jpg
Synonyme
  • Bestrafung
  • negative Bestrafung
  • negative Strafe
  • positive Bestrafung
  • positive Strafe

Wird das Verhalten eines Hundes bestraft, kann das zukünftige Auftreten des Verhaltens verringert werden. Wegen der möglichen Risiken sollte in der Hundeerziehung möglichst ohne Strafen gearbeitet werden. In der operanten Konditionierung, die von der Prägung zu unterscheiden ist, sind Strafen Verhaltenskonsequenzen, die bestraftes Verhalten zukünftig verringern. Die Wirkweise der Bestrafung, die Unterschiede zwischen positiver und negativer Strafe sowie die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken erforschten und definierten Lerntheoretiker mit dem Ergebnis, dass Bestrafungen in der Hundeerziehung möglichst vermieden werden sollten.

Die Bestrafung in der operanten Konditionierung 

Der Begriff der Bestrafung wurde wissenschaftlich unter anderem von B. F. Skinner im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit zur operanten Konditionierung experimentell erforscht, wie wir in diesem Abschnitt des ersten Teils unserer dreiteiligen Artikelserie über die wissenschaftlichen Grundlagen und deren praktische Anwendung in den modernen Trainingsmethoden. Im Ergebnis seiner Versuche verstand er den Vorgang des Lernens als die Bildung von Kopplungen aus Hinweisreiz, Reaktion und Konsequenz. Hierbei wirkt sich die Konsequenz auf die künftige Auftretenswahrscheinlichkeit der Reaktion aus, was Annahmen über Instinkte und andere innere Vorgänge weitgehend überflüssig machte. 

Nach Skinners Ansicht besteht die Konsequenz aus einem Reiz. Ein solcher Konsequenzreiz kann einerseits als angenehm oder unangenehm empfunden werden.  Andererseits kann er in Folge des gezeigten Verhaltens beginnen oder enden. Hieraus ergeben sich vier mögliche Konsequenzen, die er im Kontingenzschema darstellte.  Zwei der möglichen Konsequenzen haben belohnende oder verhaltensverstärkende Wirkung. Sie steigern somit die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens und eigenen sich daher, im Training ein Verhalten aufzubauen. Zwei wirken strafend: 

1. Beginnt als Konsequenz des Verhaltens ein unangenehmer Reiz, handelt es sich um positive Strafe

2. Endet hingegen ein angenehmer, grundsätzlich verfügbarer Reiz oder ein Privileg als Folge eines Verhaltens, handelt es sich um negative Strafe

Die Adjektive „positiv“ und „negativ“ haben eine eher mathematische Bedeutung und zeigen an, ob ein Reiz endet und damit negativ ist oder beginnt und somit positiv ist. Experimentell verabreichte Skinner Stromstöße als Strafe. Als klassisches Beispiel der positiven Strafe kann die Anwendung des Rohrstocks durch den Lehrer im Bildungssystem bis in die 1950er Jahre dienen. In der Hundeerziehung wären die Anwendung von Schlägen, Stromhalsbändern, Würgehalsbänder etc. Beispiele. In diesen Beispielen ist der verursachte Schmerz, der in Folge eines „Fehlverhaltens“ auftretende unangenehme Reiz. Allerdings ist streng genommen schon das angsteinflößende Anschreien und bedrohlich auf den Hund zugehen eine positive Strafe und das Gegenteil eins Lobes. Lob und Tadel bedürfen einer vorangehenden klassischen Konditionierung zu ihrer Wirksamkeit.

Dem gegenüber können der Entzug von Reizen wie Aufmerksamkeit oder der Gabe von Streicheleinheiten sowie der Entzug von Privilegien z. B. durch das Beenden eines Spiels oder dem Entzug des guten Platzes auf dem Sofa. Auch der Führerscheinentzug kann als Beispiele für die negative Strafe dienen.

Beide Arten der Strafe können allerdings im besten Fall ausschließlich die künftige Auftretenswahrscheinlichkeit des bestraften Verhaltens senken, da sie Angst vor der Konsequenz des Verhaltens aufbauen. Aus diesem Grund können sie aber keinesfalls das Auftreten eines gewünschten Verhaltens steigern.  

Die Risiken der Bestrafung

Aus den im o. a. Artikelabschnitt umfangreichen Experimenten geht hervor, dass die meisten Risiken mit der positiven Bestrafung verbunden sind, auf die sich die im Folgenden benannten primär beziehen.

1. Risiko von Fehlverknüpfungen

Generell besteht das Risiko, dass der Bestrafte den unangenehmen Reiz nicht, wie von der operanten Konditionierung vorgesehen, mit einer seiner Verhaltensweisen verknüpft und somit erkennt, dass es sich um eine Konsequenz dieses Verhaltens handelt. In dem Fall wird der Strafreiz das Verhalten nicht senken.

Darüber hinaus besteht das Risiko, dass der Hund einen anderen, eigentlich neutralen Reiz, mit dem aversiven Strafreiz entsprechend der klassischen Konditionierung koppelt. In der Folge kann dieser, eigentlich neutrale Reiz eine reflexhafte Angstreaktion auslösen: Beispielsweise wird die Rute zwischen die Hinterläufe gezogen. 

Solche im Grunde neutralen Reize können, egal ob als Anblick, Geruch oder Geräusch wahrgenommen, sowohl von Dingen als auch von Lebewesen ausgehen. Konkret kommen Dinge wie Fahrräder, Nodric-Walker-Stöcke oder Ähnliches, aber auch um andere Tiere wie Hunde oder Wild in Frage. Auch Menschen wie Kinder oder sogar Du als derjenige, der die Strafe verabreicht, können mit dem Strafreiz verknüpft werden.

Besonders leicht entstehen solche Fehlverknüpfungen, wenn die entsprechenden Reize häufig gemeinsam der Strafe auftreten: Wenn Dein Hund beispielsweise Kinder/Wild/andere Hunde spannend findet und daher bei deren Wahrnehmung zu „Fehlverhalten“ neigt (die Wahrnehmung ist für ihn ein Hinweisreiz, unkontrolliert zu ihnen zu laufen), welches bestraft wird, wäre diese Voraussetzung gegeben. 

Wenn der Strafreiz immer von Dir oder einem anderen Menschen verabreicht wird, wird der Hund sicherlich auch eine Verknüpfung zwischen dem bestrafenden Menschen und der Strafe herstellen, was eine entsprechende Auswirkung auf das Verhältnis des Hundes zu dem bestrafenden Menschen, also Dir, haben wird.

Im schlimmsten Falle bleibt es aber nicht bei einer klassischen Reiz-Reiz-Reflex-Konditionierung. Der nun klassisch mit dem Strafreiz gekoppelte Reiz kann auch zum Auslöser operanten Angstverhaltens werden, indem er zum Hinweisreiz für solches operantes Angstverhalten oder Verteidigungsverhalten wird. Das Repertoire an Verteidigungsverhalten bei Hunden umfasst Flucht und Aggression. Infolge dieser Verknüpfung von Strafreiz und „neutralem“ Reiz besteht dann die Möglichkeit, dass Dein Hund vor den oben genannten Beispielen flüchtet, oder sie angreift. Beide Fälle bedeuten aber eine Zunahme an Unkontrollierbarkeit des Hundeverhaltens.

2. Risiko, dass die mit der Strafe verbundene Angst das Lernvermögen minimiert

Verknüpft Dein Hund den Strafreiz mit der Summe der Reize, die eine Trainingssituation ausmachen, kann das dazu führen, dass er Angst vor dem Training insgesamt entwickelt. Noch allgemeiner und dauerhafter Bestandteil des Hundealltags wäre die Angst, wenn der Hund den Strafreiz mit Dir koppelt und in Folge Angst vor Dir entwickeln würde.

Experimentell wurde wurde bewiesen, dass Angst sich negativ auf das Lernvermögen auswirkt. Um in der Sprache der operanten Konditionierung zu bleiben, werden unter Angst deutlich mehr Wiederholungen Verhalten und positivem Verstärker benötigt, um eine Kopplung aus beiden zu bilden. 

3. Risiko, dass „gelernte Hilflosigkeit“ ausgebildet wird

Wenn der häufig bestrafte Hund keine sinnvolle Kopplung zwischen aversivem Strafreiz und dessen Ursache herstellen kann, besteht die Möglichkeit, dass er eine „gelernte Hilflosigkeit“ ausbildet. Unter diesem Begriff versteht man die Erkenntnis, dass das eigene Verhalten keine Auswirkung auf das „Schicksal“ hat und es somit weder Vor- noch Nachteile oder irgendeine Wirkung entfaltet. Anteilnahmslosigkeit und Lernunfähigkeit sind die Folgen der gelernten Hilflosigkeit.

In den bereits erwähnten Experimenten wurde deutlich, dass dieses Risiko stark beeinflusst wird von der zeitlichen Nähe zwischen Verhalten und Strafreiz einerseits und der Kontingenz genannten Regelmäßigkeit der Bestrafung andererseits: Nur wenn diese Muster konsequent und daher klar erkennbar sind, kann das Risiko gesenkt werden.

4. Risiko der Förderung aggressiven Verhaltens durch Modelllernen

Unter Modelllernen wird im Grunde verstanden, dass sich ein Lernender ein Verhalten bei einem anderen Lebewesen „abschaut“. Man kann die Verabreichung eines unangenehmen Strafreizes einen Akt aggressiven Verhaltens verstehen. Die Nähe wird sehr deutlich, wenn wir uns vorstellen, dass der unangenehme Strafreiz in einem Schlag wir einer Ohrfeige bestehen könnte.

Nun besteht die Möglichkeit, dass sich Dein Hund solcherlei aggressives Verhalten bei Dir abschaut, um seinerseits andere zu maßregeln oder deren von ihm nicht gewünschten Verhaltensweisen zu unterdrücken und zu bestrafen.

5. Risiken durch die Wahl einer falschen Stärke der Strafe

Mit der Wahl der Strafstärke, also der Intensität des unangenehmen Reizes, sind ebenfalls Risiken verbunden, wie aus den erwähnten Experimenten ersichtlich ist: Wird der Strafreiz in zu geringer Intensität verabreicht, wird er vielleicht gar nicht wahrgenommen und kann keine Wirkung zeigen. 

Wird der Strafreiz mit zu hoher Intensität verabreicht, kann dies dem Tierschutzrecht widersprechen und erhöht die bereits genannten Risiken: Ein unangenehmer Reiz ist in seiner stärksten Ausprägung ein Schmerz. Ein zu intensiver Schmerz kann wiederum bei erster Verabreichung zu einem traumatischen und damit das Verhalten nachhaltig beeinflussendem Erlebnis werden.

Nun könnte die Lösung darin liegen, die Intensität des Strafreizes langsam zu steigern: So könnte ja die geringste noch wirksame Intensität ermittelt werden. Dieses Vorgehen birgt allerdings das Risiko einer Gewöhnung an den Strafreiz mit der Folge, dass die Strafe unwirksam bleibt.

6. Risiko der Wirkungslosigkeit durch unregelmäßige Bestrafung

In der positiven Verstärkung werden sogenannte Verstärkerpläne verwendet, um eine Kopplung aus Hinweisreiz, Verhalten und Konsequenz so zu festigen, sodass das Verhalten auch dann noch gezeigt wird, wenn es nicht jedes Mal belohnt wird. Das Verhalten wird durch solche Verstärkerpläne, bei denen die angenehme Konsequenz eines Verhaltens unregelmäßig erfolgt, löschungsresistenter.

Aus den erwähnten Experimenten weiß man, dass solche Unregelmäßigkeiten für die nachhaltige Verhaltensunterdrückung durch Strafen allerdings nicht förderlich sind: Hier muss konsequent jedes Mal eine Strafe erfolgen, wenn das unerwünschte Verhalten auftritt. Dies in der Praxis zu gewährleisten, ist durchaus nicht einfach.

Die Strafe im Alltag

Die Anwendung von Strafen im Umgang mit Hunden gilt bei vielen Hundehaltern wegen der oben beschriebenen Risiken als verpönt. Macht man sich aber die Definitionen der beiden Strafarten bewusst, stellt man fest, dass Strafen recht häufig auf eine eher unbewusste Art verabreicht werden.

Wird auf Grund eines unerwünschten Verhaltens ein Privileg wie Aufmerksamkeit oder der Platz auf dem Sofa entzogen, erfüllt das den Tatbestand der negativen Strafe genauso, wie die Unterbrechung einer Streicheleinheit oder eines Spiels auf Grund eines Fehlverhaltens wie zu wildem Spiel.

Selbst die Ansprache des Hundes in unterschiedlichen Tonlagen kann zu einer Strafe führen: Wird der Hund in Folge eines Fehlverhaltens rauer und aggressiver angesprochen oder gar angeschrien, stellt die Ansprache einen für ihn unangenehmen Reiz dar, der als Konsequenz eines Verhaltens auftritt und somit eine positive Strafe ist. 

Da offensichtlich häufiger gestraft wird, als es uns bewusst ist, sollte sich jeder Hundehalter mit dem Thema Strafe ausgiebig befassen, um selbst erkennen zu können, wann er eine Strafe unbewusst anwendet. 

Wenn Du zu dem Schluss kommst, trotz der Risiken ohne Strafen nicht zum Ziel kommen zu können, solltest Du die Vorgehensweise mit einem erfahrenen Trainer besprechen. Zur Vorbereitung schadet auch die Lektüre des Abschnitts „Wie kann ich dem Hund Unarten abgewöhnen? Der Abbau unerwünschten Verhaltens“ des zweiten Teils der o. a. Artikelserie, in dem anhand praktischer Beispiele verdeutlicht wird, welche Möglichkeiten zur straflosen Verhaltensänderung bestehen und unter welchen Voraussetzungen über die Anwendung der negativen und der positiven Strafe nachgedacht werden kann und welche Möglichkeiten zur Ausgestaltung bestehen, um eine Wirkung zu erzielen und die oben beschriebenen Risiken möglichst gering zu halten.

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