Diskriminative Stimuli bei Hunden

Was haben Kommandos, Befehle und Signale der Hundeführer mit Ablenkungen gemeinsam?

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Zuletzt aktualisiert am: 18.12.2023

Ein Irish Setter steht  vor dem Wald und schaut nach rechts Ausschnitt.jpg
Synonyme
  • Ablenkung
  • Auslöser
  • Befehl
  • Hinweisreiz
  • Kommando
  • Signal
  • Trigger

Sowohl bei den Signalen des Hundeführers als auch bei den Ablenkungen handelt es sich um diskriminative Stimuli. Diese können ein bestimmtes Verhalten auslösen und treten in Konkurrenz zueinander, wenn sie gleichzeitig gegensätzliches Verhalten auslösen sollen.

Der Begriff des diskriminativen Stimulus setzt sich aus den lat. Begriffen „Stimulus“, was mit (An)Sporn oder Reiz zu übersetzen ist und dem mit „unterscheiden“ zu übersetzenden Verb „discriminare“ zusammen. Damit handelt es sich um eine der Wirkung nach unterscheidbare Unterart des Reizes. In der operanten Konditionierung beschreibt er ein Signal, das anzeigt, dass jetzt einem speziellen Verhalten eine spezielle Konsequenz, z. B. eine Belohnung, folgen könnte. 

Der Begriff des Hinweisreizes sollte nicht mit dem Begriff des Schlüsselreizes verwechselt werden, den Konrad Lorenz im Rahmen seiner zwischenzeitlich als wissenschaftlich überholt geltenden Instinkttheorie verwendete. Diese Theorie geht von angeborenem Verhalten aus, das nicht gelernt werden muss. Im Gegensatz zum Schlüsselreiz stellt der Begriff des diskriminativen Stimulus einen Fachbegriff aus dem Behaviorismus dar, einer Gruppe von Lerntheorien, zu der sowohl die klassische, wie auch die operante Konditionierung gehören.

Hinweisreize in der operanten Konditionierung

Der Begriff des diskriminativen Stimulus wurde wissenschaftlich unter anderem von B. F. Skinner im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit zur operanten Konditionierung, die von der Prägung zu unterscheiden ist, wie im ersten unserer dreiteiligen Artikelserie detailliert beschrieben experimentell erforscht. Im Ergebnis seiner Versuche verstand er den Vorgang des Lernens als die Bildung von Kopplungen aus einem Hinweisreiz, einer speziellen Reaktion und einer von vier möglichen im Kontingenzschema dargestellten Konsequenzen. Die operante Konditionierung im engeren Sinne stellt hierbei die Erstellung einer Kopplung aus Verhalten und einer der vier möglichen Konsequenzen dar. Zwei der Konsequenzen erhöhen als positive und negative Verstärkung, zwei verringern als positive und negative Strafe die künftige Auftretenswahrscheinlichkeit der Reaktion. Die Funktion des Hinweisreizes liegt nun darin, anzuzeigen, welche der vier Konsequenzarten einem Verhalten folgen wird. Die Bildung der Kopplung, die den Reiz mit dem Verhalten verbindet, wird Diskriminationslernen genannt und führt zur Fähigkeit der Reizdiskrimination, also der Fähigkeit, den für ein Verhalten und den mit ihm erzielbaren Erfolg entscheidenden Reiz von anderen Reizen zu unterscheiden.

Der Ansatz Skinners machte Annahmen zu Instinkten und weiteren inneren Vorgängen weitgehend unnötig. Er erklärt dennoch Verhaltensentstehung in der der Natur ebenso, wie das Entstehen von Verhalten eines Hundes, das durch moderne Erziehungsmethoden und in ihnen enthaltenen Diskriminationstrainings unter die Signalkontrolle eines Menschen gestellt werden kann.

Hinweisreize in der Natur

Genau wie der gesamte Vorgang der operanten Konditionierung, entstammt auch der Hinweisreiz zwar einer menschlichen Theorie, die wir zur Verhaltensformung unserer Hunde nutzen können, ist aber natürlichen Ursprungs. Die operante Konditionierung erklärt die Entstehung von Verhalten und zeigt auf, wie die Umwelt mit ihren Reizen auf das Verhalten rückwirkt. 

So dient der Geruch, der von der Fährte eines Rehs ausgeht, den wildlebenden Hundeartigen als Hinweisreiz, dieser Fährte zu folgen und alle Sequenzen des Jagdverhaltens als Verhaltenskette zu zeigen. Die angenehme Konsequenz dieses Verhaltens kann dann das erbeutete Reh sein. Sicher wird ein Hund oder Wolf, der solches erlebt hat, künftig häufiger Jagverhalten zeigen, wenn er eine Rehfährte wahrnimmt. Das entspricht der positiven Verstärkung, bei der die Rehfährte als Hinweisreiz anzeigt, dass dem Jagdverhalten ein angenehmer Reiz in Form des Rehs als Beute folgt. Allerdings wird er wahrscheinlich lernen, die Fährten detaillierter wahrzunehmen und zu unterscheiden: Riecht die Fährte nicht nur nach Reh, sondern auch nach Schwangerschaftshormonen und damit nach einem im Vergleich zu einem nach Testosteron riechenden agilen und gesunden Bock langesamen hochschwangeren Ricke? Die Erfolgsaussichten werden bei der langsamen Ricke oder einem krank und schwach riechenden Stück höher sein, was die Fähigkeit zur Reizdiskrimination oder Reizunterscheidung für das Überleben wichtig werden lässt.

Würde der erfolgreiche Jäger das Wild nicht komplett fressen können weil er satt wäre und ginge seiner Wege, bis er wieder Hunger bekäme und daher zu seiner mittlerweile von anderen Tieren aufgefressenen Beute zurückkehren, läge eine negative Strafe vor: Der grundsätzlich verfügbare angenehme Reiz, Beute zu haben, ist als Konsequenz des Verhaltens die Beute zu verlassen, entfallen und so von der Natur bestraft worden. 

Vielleicht dient nun künftig der Anblick eines erlegten Wildtiers als Hinweisreiz, am Ort zu bleiben und die Beute zu bewachen, auch wenn aktuell kein Hunger vorliegt. Vielleicht dient unter diesen Umständen der Anblick kleinerer Raubtiere als Hinweisreiz dafür, aggressives Verhalten zu zeigen, um die Beute zu verteidigen. Werden die Möchtegerndiebe in die Flucht geschlagen, entfällt mit ihrem Entschwinden ein unangenehmer Reiz. Das entspricht der negativen Verstärkung. Bezogen auf den Reiz, der von der noch immer vorhandenen Beute ausgeht, entspricht es einer positiven Verstärkung. Beide im Kombination führen sicherlich dazu, dass künftig in einer Situation, die beide Hinweisreize enthält (Anblick eigener Beute und möglicher Diebe), wieder Verteidigungsverhalten gezeigt wird.

Erblickt der Wildhund allerdings einen ausgewachsenen Keiler, der sich seiner Beute nähert, kann die aggressive Beuteverteidigung damit enden, dass das große, wehrhafte Wildschwein den Jäger verletzt und ihm Schmerzen zufügt: In dem Fall läge eine positive Strafe vor, die das Auftreten des Verteidigungsverhaltens für die Zukunft senkt, wenn der Hinweisreiz aus dem Anblick eines reifen Keilers besteht. 

Vielleicht dient der Anblick jetzt als Hinweisreiz für ein Verhalten, das die Gefahr vermeidet. Als Vermeidungsverhalten käme die Flucht in Frage. Endet diese Flucht nun damit, dass der angsteinflößende Keiler nicht mehr wahrgenommen wird und somit das Fluchtverhalten erfolgreich eine neuerliche Verletzung vermeidet, endet also ein unangenehmer Reiz oder er beginnt (bezogen auf die Verletzung) erst gar nicht, was wieder der negativen Verstärkung entspricht und das Fluchtverhalten künftig häufiger auftreten lässt, wenn die Nähe eines Keilers wahrgenommen wird.

Generell kann gesagt werden, dass auf einen Reiz hin oder in einer aus mehreren Reizen bestehenden Situation ein eher zufälliges oder durch Modelllernen abgeschautes Verhalten gezeigt wird und die Art der Konsequenz darüber entscheidet, ob dasselbe Verhalten künftig eher wieder bei Auftreten derselben Reize gezeigt wird oder ob ein anderes Verhalten getestet wird. Und es kann gesagt werden, dass viele der in der Natur für Wildhunde wie Wölfe relevanten Reize auch heute für unserer Hunde noch eine instinktive „Verlockung“ darstellen und von uns gerne als „Ablenkungen“ bezeichnet werden und ein von uns nicht gewünschtes, für den Hund aber auf die ein oder andere Weise lohnendes Verhalten auslösen.

Hinweisreize aus Menschenhand: unsere Signale, Kommandos und Befehle als zivilisatorische Hinweisreize

Es liegt im menschlichen Interesse, in der Wahrnehmung des Hundes über diesen natürlichen Hinweisreizen zu stehen und als Mensch selbst zur Quelle der wichtigsten Hinweisreize von unseren Hunden wahrgenommen zu werden. Ziel ist es, unsere Zeichen und Signale für alle möglichen uns gefälligen Verhaltensweisen fest und sicher zu koppeln und so das Verhalten des Hundes unter unsere Signalkontrolle zu stellen. Fest und sicher heißt für uns, dass unsere Hinweisreize für den Hund eine größere Bedeutung haben sollen, als alle anderen inklusive der natürlichen Reize und somit ein von uns gegebenes Signal immer das entsprechende Verhalten im Hund auslöst. Allerdings lösten die natürlichen Reize teilweise über viele Generationen und Jahrmillion hinweg evolutionär überlebenswichtiges und nun instinktiv gewordenes Verhalten aus und stehen als Ablenkungen immer in Konkurrenz zu unseren Kommandos.

Die modernen Trainingsmethoden, die auf der operanten Konditionierung und insbesondere auf der positiven Verstärkung aufbauen, helfen uns, das Ziel der Signalkontrolle unter anderem durch in ihnen enthaltene Diskriminationstrainings zu erreichen, damit unsere Hunde die von uns bewusst als Teil der Kommunikation zwischen Hund und Mensch gegebenen Hinweisreize als verhaltensentscheidender wahrnehmen, als die „Ablenkung“ genannten anderen Hinweisreize.

Unbewusste Hinweisreize aus Menschenhand – Unaufmerksamkeit und andere

Unsere bewussten Hinweisreize, also die Kommandos und Signale, die wir unseren Hunden geben, damit sie ein bestimmtes Verhalten (Sitz, Platz, Hier etc.) zeigen oder abbrechen, können als Teil der Kommunikation zwischen Hund und Mensch verstanden werden. Allerdings läuft nur ein kleiner Teil menschlicher Kommunikation bewusst ab: Die Mimik und Gestik, die ebenfalls Teil der Kommunikation und ist kaum steuerbar und läuft somit unbewusst ab. Gestik, Mimik aber auch die Tonlage unserer Stimme verrät unseren Tieren nicht nur, ob wir uns grade auf sie konzentrieren, sondern auch, ob wir gut oder schlecht gelaunt, entspannt oder nervös bis ängstlich sind.

Häufig hört man, dass Hunde besonders anhänglich sind, wenn es ihren Frauchen und Herrchen nicht gut geht. Dies lässt sich hierüber gut erklären: Die Signale, die wir aussenden, wenn es uns nicht gutgeht, wirken auf den Hund als Hinweisreiz, ein „kuscheliges“ Verhalten zu zeigen, das wir durch unsere Dankbarkeit verstärken.

Aber die unbewusst von uns ausgehenden Reize können auf einen Hund auch als Hinweisreiz für ein unerwünschtes Verhalten wirken: Bist Du unaufmerksam, nimmt der Hund das Fehlen der üblichen Reize, die Deine Aufmerksamkeit ausmachen, wahr. Auch das Fehlen eines Hinweisreizes kann Verhalten auslösen, in dem Fall, dass der Hund sich größere Freiheiten, beispielsweise um auszubüxen, nimmt. Gehst Du mit ihm nervös bis ängstlich auf Situationen zu, die in der Vergangenheit schon problematisch waren, wird er dies wahrnehmen. Dann kann Deine Unsicherheit vielleicht als Hinweisreiz wirken und ihn zu einem „Sicherungsverhalten“ veranlassen, das ihm weder zusteht, noch dem er gewachsen wäre: Der Hundeführer sollte dem Hund die Sicherheit vermitteln, die von guter Führung ausgeht. Ist diese sichere Führung in der Situation nicht gegeben, wird die Übernahme der Führung durch den Hund erneut zu einer problematischen Erfahrung führen.

Solltest Du solche Situationen kennen, die immer wieder mit problematischen Erfahrungen für Dich und Deinen Hund verbunden sind, solltest Du einen erfahrenen Hundetrainer kontaktieren, der nicht nur Deinen Hund, sondern auch Dein unbewusstes Verhalten beurteilen kann.

Der strafende Mensch als Hinweisreiz für Angstverhalten

Verabreicht der Hundemensch häufig Strafen, kann die klassische Konditionierung bewirken, dass der Mensch mit dem Strafreiz gekoppelt und gleichgesetzt wird. Folgt aus dieser Kopplung nicht nur ein Angstreflex, sondern ein operantes Verhalten wie Flucht, Aggression oder vielleicht sogar das Unterlassen des bestraften Verhaltens, wurde die Wahrnehmung des strafenden Menschen für den Hund zum Hinweisreiz, eben dieses Verhalten zu zeigen. 

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