Reizdiskrimination in der Hundeerziehung
Was ist und wie wirkt Stimulus- oder Reizdiskrimination auf die Signalkontrolle gegenüber dem Hund?
Von:
Ulf Weber
Zuletzt aktualisiert am: 26.9.2024
- Stimulusdiskrimination
Signalkontrolle basiert u. a. auf Reiz- oder Stimulusdiskrimination. Der Begriff setzt sich aus den lat. Begriffen „Stimulus“ für Sporn, das mit Reiz übersetzt werden kann und dem mit „unterscheiden“ zu übersetzenden Verb „discriminare“ zusammen. Er beschreibt die durch klassische oder operante Konditionierung erlernbare Fähigkeit, auf ähnliche Reize oder Signale unterschiedlich zu reagieren.
Im Tiertraining und damit in der Hundeerziehung spielt die Reizdiskrimination, also die Unterscheidung verschiedener Reize, eine wichtige Rolle. Denn einerseits soll der Hund auf ein bestimmtes Signal oder Kommando hin ein bestimmtes Verhalten zeigen. Für eine solche Signalkontrolle des Hundeverhaltens ist die Unterscheidung der Kommandos und Signale untereinander wesentlich, damit sie sogenannte diskriminative Reize für den Hund darstellen und sein Verhalten bestimmen können. Hierzu ist es hilfreich, wenn die Signale und Kommandos eindeutig sind. Das heißt, dass
- immer exakt dasselbe Kommando für ein spezielles Verhalten verwendet werden soll (Entweder IMMER „hier“ oder IMMER „hierher“)
- die unterschiedlichen Signale klar und einfach voneinander unterscheidbar sein sollen (Nicht „Platz“ für Ablegen und „auf Deinen Platz“ um den Hund auf seinen Platz zu schicken, „fass“ zum Zupacken und „lass“ als Abbruchsignal oder nicht „fein“ als Lob und „Nein“ als tadelndes Abbruchsignal)
Alternativ dazu müsste in das Diskriminationstraining mehr Zeit investiert werden, um es feiner auszulegen, damit der Hund den Unterschied zwischen "Fass" und "Lass" erkennen lernt, ähnlich, wie es unter dem Abschnitt zur operanten Konditionierung beüglich der unterschiedlich Töne grünen Lichts beschrieben ist.
Das Gegenteil von Reizdiskrimination ist Reizgeneralisierung: Wenn ein Hinweisreiz sehr weit gefasst und damit generalisiert ist, wird das mit ihm verbundene Verhalten zwar weitaus häufiger gezeigt, allerdings auch nicht besonders zielgenau: Wer möchte schon, dass der Hund jemanden auf das Abbruchsignal „lass“ hin fasst und beißt oder frei wählt, ob er sich an Ort und Stelle hinlegt oder zu seinem Platz geht, wenn das Signal das Wort „Platz“ enthält oder bei jeder Ansprache seines Hundemenschen dasselbe Verhalten zeigt und sich beispielsweise hinsetzt.
Reizdiskrimination in der klassischen Konditionierung und Hundeerziehung
Erforscht wurde das Phänomen der Reizdiskrimination schon von Pawlow, der die klassische Konditionierung entdeckte. Hierbei wird ein „bedingt“ genannter, unwichtiger Reiz, wie das gleichmäßige Klicken eines Metronoms, mit dem unbedingten und wichtigen Reiz, der von Futter ausgeht, gekoppelt. Im Ergebnis fingen die Pawlowschen Hunde nicht erst zu speicheln an, wenn das Futter vor ihnen stand, sondern schon dann, wenn sie das Metronom hörten.
Ein Metronom kann allerdings in unterschiedlichen Frequenzen klicken: Schließlich besteht sein Zweck darin, unterschiedlich schnelle Grundgeschwindigkeiten für Musiker vorzugeben. Bei der Reizdiskrimination geht es nun darum, die Reaktion „Speichelfluss“ nur bei einer ganz bestimmten Taktfrequenz, beispielsweise 60 Klicks pro Minute, auftreten zu lassen: Klickt das Metronom 120 mal oder 30 mal pro Minute, soll der Hund nicht speicheln. Dies kann erreicht werden, wenn das Metronom nur bei der Futtergabe und immer mit derselben Frequenz klickt (S+ Lernen s. u.) oder zu Zeiten, in denen kein Futter gegeben wird in anderen Frequenzen. Allerdings wird die Unterscheidung immer schwerer, je ähnlicher die Frequenzen sich sind: ob es 60, 61 oder nur 59 Klicks in der Minute sind, ist kaum unterscheidbar.
Praktische Anwendung im Hundetraining findet die klassische Konditionierung bei der Etablierung eines Markers zum werthaltigen Loben eines Verhaltens. Eine besonders eindeutige Reizdiskrimination ermöglicht hierzu ein Klicker, der immer absolut gleich klingt und dessen Geräusch in der Umwelt selten auftritt.
Reizdiskrimination in der operanten Konditionierung und Hundeerziehung
Ähnliche Versuche wurden basierend auf positiver Verstärkung in einer Skinner-Box durchgeführt. So bekamen Tauben Futter (positive Verstärkung) durch einen automatischen Futterspender, wenn sie auf eine Schaltfläche pickten (operante Reaktion). Nachdem die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens so gesteigert werden konnte, begann ein Diskriminationstraining.
Nun wurde die Box mit Lampen ausgestattet, so dass künstliches Licht unterschiedlicher Wellenlängen, also unterschiedlicher Farben wie grün und rot, als Hinweisreiz eingesetzt werden konnten, um die folgenden Arten des Diskriminationslernens zu erforschen. Rot und grün liegen nun weit auseinaner und entsprechen in der praktischen Hundeerziehung, nicht "fass" und "aus" als Signale für komplett gegensätzliches Verhalten zu verwenden.Um zu prüfen, wie ähnlich sich solche Hinweisreize werden können, wurde auch mit grüner Farbe unterschiedlicher Frequenzen gearbeitet: Je geringer die Unterschiede in der Wellenlänge, desto ähnlicher erscheint auch die Farbe. Das entspricht dem Ansatz, ähnlich lautende Signale für unterschiedliche Verhalten zu verwenden, z. b. eben "lass" und "fass". Wie oben schon gesagt, lässt sich auch das konditionieren, allerdings ist der Aufwand groß und im gewählten beispiel der mit einer Signalverwechslung einhergenden Probleme auch. Daher empfiehlt es sich in den meisten Fällen, die Signale klar unterscheidbar zu wählen.
Publikumswirksam kann die Reizdiskirmination allerdings eingesetzt werden, um im Trickdogging einen Diaglog mit dem Hund vorzutäuschen: Hier ist jeder Satz, den der menschliche Trickdogger sagt, ein Hinweisreiz und muss trotz großer Ähnlichkeit andere Reaktionen beim hündischen Trickdogger auslösen: Mal soll er den Kopf schütteln (magst du mich?). Mal soll er nicken (magst du die anderen hier?) etc. Denkbare Tricks und mögliche Trainingsansätze findest Du in diesem Abschnitt unseres Artikels "Trickdog – coole Dog Tricks, nicht nur für pfiffige Trick Dogs".
S+ Lernen oder die Einführung eines Signals im Hundetraining
Wird ein S+-Diskriminationstraining durchgeführt, bedeutet das nichts anderes, als dass ein Signal eingeführt wird, das ein bestimmtes Verhalten hervorrufen soll. Das Signal zeigt dem Hund an, dass sie das bestimmte Verhalten nun lohnen könnte und wird daher zum Hinweisreiz. In der Skinner Box diente als Hinweisreiz beispielsweise grünes Licht aus einer Lampe: Die Tauben, die schon operant darauf konditioniert waren, auf den Schalter zu picken, erhielten ab jetzt nur dann Futter, wenn dieses grüne Licht leuchtete. Nach einigen Durchläufen des Experimentes pickten die Tauben nur noch auf den Schalter, wenn das grüne Licht leuchtete und hatten es als Hinweisreiz darauf, dass das Picken auf den Schalter nun belohnt wird, verknüpft.
Im Labor und in der Wissenschaft wird immer nur eine sehr überschaubare Anzahl an Reizen verwendet, die in einer an Reizen ansonsten armen Skinner-Box verabreicht werden. Dies geschieht, damit die Auswirkungen der Hinweisreize, Reaktionen und Konsequen auf das Verhalten klarer erkenn- und messbar sind. Allerdings muss das zu konditionierende Tier diese Zusammenhänge, die untereinander eine Vorhersagekraft besitzen sollten, ebenfalls erkennen, was mit wenigen sich ändernden Reizen leichter fällt, vor allen Dingen, wenn sie zeitnah und somit in Übereinstimmung mit der Kontiguität verabreicht werden.
Dieser Vorgang des S+ Lernens entspricht im Hundetraining der Einführung eines Signals, beispielsweise dem Wort „Sitz“ mit der entsprechenden Körpergeste, die den Hund das entsprechende Verhalten zeigen lässt, weil er gelernt hat, dass dies nun belohnt wird. Das entsprechende Training zur Einführung des Signals sollte, wie schon vorher die ersten Schritte der operanten Konditionierung und ähnlich der Versuche in der Skinner-Box, in einer reizarmen Umgebung stattfinden. Dieses Training stellt die Grundlage für die Signalkontrolle des Verhaltens dar.
Die modernen Trainingsmethoden binden das dafür notwendige Diskriminationslernen im Rahmen eines Diskriminationstrainings in die Trainingsprogramme ein, wenn das Signal eingeführt wird oder davon gesprochen wird, ein Verhalten zu generalisieren oder unter Signalkontrolle zu stellen.
S- Lernen oder die Abwesenheit der Aufmerksamkeit des Hundeführers
Unter S- (S-Minus ausgesprochen) wird die Abwesenheit eines Reizes verstanden. Experimentell bedeute das, dass die schon konditionierten Tauben nun nur dann für das Picken auf den Schalter belohnt werden, wenn das rote Licht nicht leuchtet.
Als Beispiel für diese Art der Reizdiskrimination kann im Hundealltag die Aufmerksamkeit des Hundeführenden dienen: Während der Mensch normalerweise den Hund im Auge hält und dem Hund hin und wieder verhaltenskorrigierende Signale während einer Gassirunde gibt (hier, sitz etc.), entfallen diese Reize bei mangelnder Aufmerksamkeit des Menschen. Dieser Wegfall von Reizen dient als Hinweisreiz für den Hund, sich größere Freiheiten zu nehmen.
S+/S- Lernen oder Ablenkung des Hundes bei gleichzeitiger Unaufmerksamkeit
In dieser Art des experimentell erforschten Deskriminationslernens spielt die Kombination aus zwei Reizen die verhaltensauslösende Rolle: Nur wenn einer der beiden Reize vorhanden (grünes Licht an), der andere aber nicht vorliegt (rotes Licht aus), wird ein Verhalten belohnt und deshalb gezeigt. Da außerhalb eines Labors oder eines extra zu Trainingszwecken gewählten reizarmen Umfelds selten nur ein einziger Reiz auf ein Lebewesen wie einen Hund einwirkt, kommt dem S+/S- Lernen eine praxisnahe Rolle zu, wie an dem folgenden denkbaren Beispiel erkennbar wird.
Ein Anwendungsbeispiel liegt im Antigiftködertraining: Findet der Hund nach erfolgreichem Training einen Giftköder oder anderes Futter stellt das den ersten Reiz dar. Die Abwesenheit der Fressfreigabe durch den Hundemenschen stellt den zweiten Reiz dar. Liegt diese Reizkombination vor, fährt sie beispielsweise zu dem Verhalten "Futter durch Vorstehen anzeigen", während die Anwesenheit beider Reize zum Verhalten "Futter fressen" führt.
Ein weiteres Beispiel sei ein Laufhund wie der Beagle, der wie ein Stöberhund auf der Jagd eingesetzt wird und Stöberarbeit leisten soll (ohne ausreichende Signakontrolle, sei dazu gesagt) und daher gelernt hat, einerseits den Geruch einer Wildfährte als Hinweisreiz für das Stöberverhalten zu nehmen und andererseits dieses Verhalten auf Spaziergängen durch den Wald dann nicht zeigt, wenn er von seinem Menschen rechtzeitig abgerufen wird. In dem Fall sind zwei Reize vorhanden: Der Geruch der Fährte und das Signal für den Abruf. Bleibt letzterer aus, wenn er eine Fährte wahrnimmt, wird der Hund stöbern.
- Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
- Lerntheorie II: Clicker- & Targettraining, Shaping & Chaining, Capturing & Co als angewandte Wissenschaft
- Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
- Hundetraining: Das erlernte Entspannen des Hundes mit Entspannungssignalen
- Wilderei durch den Hund – kein Kavaliersdelikt
- Das Beutefangverhalten von Hunden
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