Instinkttheorie

Was ist die Instinkttheorie von Konrad Lorenz?

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Zuletzt aktualisiert am: 11.1.2023

Ein kleiner Jagdhund steht an und fixiert etwas.jpg
Synonyme
  • physiologischen Theorie der Instinktbewegungen
  • Psychohydraulisches Verhaltensmodell

Die auch „physiologische Theorie der Instinktbewegungen“ genannte Instinkttheorie ist ein Modell zur Erklärung tierischen Verhaltens, das primär von Instinkten geleitet ist. Es wurde von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen in den 1930er Jahren entwickelt und in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt. Heute gilt diese Theorie als wissenschaftlich überholt und widerlegt.

Historisches

In den 1930er Jahren existierten bereits verschiedene Ansätze, Verhalten und seine Entstehung zu erklären. Eine dieser lerntheoretischen Ansätze war der Behaviorismus, deren Anhänger sich bei der Erforschung von Verhalten ausschließlich auf objektiv messbare Größen wie äußere Reize und Reaktionen konzentrierten und diese in Tierversuchen maßen. Der Behaviorismus basiert auf der klassischen Konditionierung nach Pawlow, durch die ein Tier lernen kann, auf unterschiedliche Reize denselben Reflex als Reaktion zu zeigen. Da die operante Konditionierung nach Skinner, die erklärt, wie ein Lebewesen ergebnisorientiert lernt, um auf einen bestimmten Hinweisreiz mit einem optimierten Verhalten zu reagieren, noch nicht erforscht und bekannt war, vertraten die Behavioristen zu diesem Zeitpunkt noch die Ansicht, dass Verhalten eine Kette von Reflexen und somit ein Lebewesen eine reine Reiz-Reaktions-Maschine sei.

Demgegenüber steht die Ethologie, deren bekanntester Vertreter Konrad Lorenz war. Die Ethologen versuchten ihre Erkenntnisse durch Beobachtung der Tiere in ihrem normalen Umfeld, also nicht durch Versuche, zu ermitteln. 

In einer 1937 in der Zeitschrift „Folio Biotheoretica“ erschienen Arbeit führt Lorenz aus, dass er Tiere beobachtet habe, die ein bestimmtes Verhalten gezeigt hätten, ohne dass ein äußerer Reiz vorhanden gewesen sei, was gegen die Annahme spricht, Verhalten sei eine reine Aneinanderreihung von Reizen und Reaktionen.

Vielmehr käme man ohne den Begriff des Instinkts wissenschaftlich hier nicht weiter und müsse neben erlerntem Verhalten auch instinktives erforschen. Andererseits sei der Begriff Instinkt häufig im Zirkelschluss definiert: Ein Hund jagt, weil er über Jagdinstinkt verfügt. Dass es einen Jagdinstinkt gibt, sieht man daran, dass ein Hund jagt. 

Dies war Lorenz zu dünn, sodass er in Zusammenarbeit mit Nikolaas Tinbergen aus seinen Beobachtungen mehrere Fachbegriffe abzugrenzen und in einer geschlossenen Theorie in ein Verhältnis zueinander setzte. Sowohl die Begriffe als auch die Theorie wurden über die Jahrzehnte auf Grund wissenschaftlicher Kritik immer wieder angepasst und in den 1990er Jahren endgültig widerlegt. 

Instinktbewegung und Instinktverhalten

Lorenz betrachtete das Instinktverhalten als die Summe einzelner, nacheinander erfolgender Instinktbewegungen. Unter einer Instinktbewegung verstand er Bewegungen einzelner Muskeln und Muskelgruppen. Diese Bewegungen bezeichnete er anfänglich als Erbkoordination, da er die Fähigkeit, diese Muskelbewegungen zu koordinieren als angeboren und somit als ererbet betrachtete. Von ihnen nahm er an, dass ihr Sinn und Zweck dem Tier nicht bewusst ist und sie nicht durch Lernvorgänge verändert werden können, sondern in der Entwicklung des Lebewesens reifen, wie auch Organe reifen. Diese Reifung kann bei einigen Instinktbewegungen bei der Geburt abgeschlossen oder noch im Gange sein. Teilweise eilt die Entwicklung der Instinktbewegung der der zuständigen Organe voraus, teilweise sind die Organe bereits ausgebildet und die zugehörige Erbkoordination noch nicht voll entwickelt. 

Wichtig ist, dass das Instinktverhalten nur den Bewegungsablauf bezeichnet. Anderes als der Reflexbewegung, die nur einen Reiz zur Auslösung benötigt, wird die Auslösung und Intensität des Instinktverhaltens von zwei weiteren begrifflichen Größen bestimmt, nämlich der spezifischen Handlungsbereitschaft und einem externen Schlüsselreiz.

Handlungsbereitschaft

Auch zu diesem Begriff führt Lorenz eine ganze Liste von Synonymen. Er geht im Wesentlichen davon aus, dass das zentrale Nervensystem (ZNS) erbbedingt für den Anstieg des Drangs, Triebs oder der Motivation zu einem bestimmten Instinktverhalten verantwortlich ist: Durch die Ausführung eines Instinktverhaltens sinkt sie, weshalb das Instinktverhalten auch als Endverhalten bezeichnet wird. Im Absinken der Handlungsbereitschaft sieht Lorenz einen subjektiven Lustgewinn, der belohnend wirkt. Nachdem die Endhandlung gezeigt wurde, steigt mit der Zeit die Erregung des ZNS wieder, wodurch die aktionsspezifische Energie, also die Handlungsbereitschaft für das spezielle Instinktverhalten wieder zunimmt.

Die Annahme einer Handlungsbereitschaft gilt natürlich für alle Instinktbewegungen und -verhalten. Somit nicht nur für Endhandlungen, die als erstrebenswert angesehen werden können (Essen, Trinken, Sexualakt). Sie gelten auch für Vermeidungsverhalten wie das Fluchtverhalten, das ebenfalls zum Instinktverhalten zählt.

Die Ausführung und die Intensität eines Instinktverhaltens hängt also einerseits von der spezifischen Handlungsbereitschaft ab. Im Normalfall kommt ein weiterer Faktor hinzu: Der Schlüsselreiz.

Der Schlüsselreiz und der angeborene Auslösemechanismus

Alle Lebewesen, so auch Tiere, bewegen sich in einer an Reizen reichen Umwelt. Diese Reize wirken zeitgleich auf die Lebewesen ein. Diejenigen Reize, die bei ausreichend hoher Handlungsbereitschaft, eine Instinktbewegung auslösen, nennt Lorenz „Schlüsselreize“. Die Fähigkeit, diese Schlüsselreize aus der an Reizen reichen Situation herauszufiltern ist nach Lorenz´ Theorie entweder angeboren oder kann durch Prägung erlangt werden. Zunächst sprach er von „angeborenen auslösenden Schematen“, später vom angeborenen Auslösemechanismus (AAM). Der angeborene Auslösemechanismus stellt eine Art Schloss dar, auf den die speziellen Schlüsselreize passen und müsse physiologisch im Nervensystem zu finden sein. 

Entsprechend ist die Wahrnehmung dieser verhaltensauslösenden Schlüsselreize angeboren und ist insofern nicht leicht von einem Reflex zu unterscheiden. Lorenz gesteht dem AAM außerdem eine gewisse Lernfähigkeit zu. Einerseits, weil die Forschung Pawlows gezeigt hat, dass der zur Auslösung eines Reflexes notwendige Reiz klassisch konditioniert, also „anerzogen“ werden kann. Auch seine eigenen Tierbeobachtungen wiesen darauf hin, dass der angeborene Schlüsselreiz durch einen ihm häufig vorangehenden ersetzt werden kann. Als konkretes Beispiel nannte er das Fluchtverhalten von Gänsen: Es kann ausgelöst werden durch die Wahrnehmung eines natürlichen Fressfeindes (angeborener Schlüsselreiz) oder den Anblick eines Jägers mit Gewehr (konditionierter oder bedingter Schlüsselreiz), wenn die Tiere schon häufiger von einem solchen beschossen wurden. Außerdem kann der AAM lernen, den Schlüsselreiz stärker zu spezifizieren und so selektiver zu werden. So bringt er schon 1937 das Beispiel einer Stockentenmutter, die deren AAM kurz nach dem Schlüpfen der Küken das Fiepen aller Küken als Schlüsselreiz zulässt, mit der Zeit aber nur noch das der eigenen Küken. 

Insgesamt wird auf diese Weise eine Abgrenzung zwischen dem Schlüsselreiz von Lorenz und dem erlernbaren Hinweisreiz in der für die praktische Anwendung in der Hundeerziehung eher geeignete operanten Konditionierung erschwert.

Für das Zusammenwirken von Handlungsbereitschaft und Schlüsselreiz im Rahmen seiner Instinkttheorie prägte Lorenz einen weiteren Begriff.

Die doppelte Quantifizierung

Unter der doppelten Quantifizierung verstanden Lorenz und seine Kollegen das Zusammenwirken von spezifischer Handlungsbereitschaft und Schlüsselreiz auf das Auslösen des Instinktverhaltens. Diesen Bereich der Theorie hat Lorenz im Laufe der Zeit angepasst. 

Zunächst ging Lorenz davon aus, dass ein Instinktverhalten gezeigt wird, wenn die Stärke des Schlüsselreizes eine Reizschwelle überschreitet. Dieser Schwellenwert, den der Schlüsselreiz zur Auslösung des Instinktverhaltens überschreiten muss, verringert sich im Laufe der Zeit durch die ständig zunehmende Handlungsbereitschaft. Die Stärke des Schlüsselreizes kann beispielsweise qualitativer Art sein: Eine Scheibe ofenfrisches Brot mit Butter ist sicherlich ein stärkerer Schlüsselreiz als eine verschimmelte Scheibe. Die Höhe der Reizschwelle kann aber auf Grund der aufgebauten Handlungsbereitschaft (Hunger) verringert werden, sodass auch eine Scheibe trockenen Brotes ohne Butter gegessen wird.

Später scheint er für die Summe aus Handlungsbereitschaft und Schlüsselreizstärke einen Schwellenwert zu erkennen, der überschritten werden muss, damit ein Instinktverhalten ausgelöst wird. Interessant bei dieser Überlegung ist, dass der zur Auslösung eines Instinktverhaltens notwendige Schwellenwert auch überschritten werden kann, wenn lediglich einer der beiden Faktoren ausreichend hoch ist: Ist die Reizstärke hoch genug, wird auch ohne Handlungsbereitschaft ein Instinktverhalten ausgelöst. Ist die Handlungsbereitschaft hoch genug, wird zunächst sogenanntes Appetenzverhalten ausgelöst.

Auch können einzelne Instinktbewegungen bereits unterhalb des Schwellenwertes auftreten, sodass das komplette Instinktverhalten noch nicht in voller Gänze oder Intensität gezeigt wird.

Intentionsverhalten

Lorenz hatte durch die Beobachtung des Verhaltens verschiedener Tiere bemerkt, dass teilweise nicht die für ein Instinktverhalten typische Gesamtkette aus Instinktbewegungen gezeigt wird, sondern manchmal das Verhalten nach den ersten Instinktbewegungen abgebrochen wird. Er bezeichnete dieses unterbrochenen Instinktverhalten als Intentionsbewegungen oder Intentionsverhalten, das die Absicht des Tieres zeigt, unter Umständen bald das komplette Instinktverhalten auszuführen. 

Auch das Intentionsverhalten wird durch die beiden in der doppelten Quantifizierung gemeinsam wirkenden Faktoren ausgelöst. Als Beispiel für den Übergang von Intentionsverhalten zum Instinktverhalten durch langsame Steigerung der Reizintensität kann das folgende dienen. Nähert man sich einer großen, auf freiem Feld sitzenden Gänseschar, stellt man selbst den mit jedem distanzverringernden Schritt intensiver werdenden Schlüsselreiz dar. Nun kann man beobachten, dass die Gänse nicht von völlig ruhigem Verhalten ohne Zwischenschritte zur Flucht ansetzen. Vielmehr werden zunächst die Gänse, die sich dem stärker werdenden Reiz am nächsten befinden, unruhig und erste Bewegungselemente des Fluchtverhaltens zeigen. Entfernt man sich nun wieder und verringert somit den Reizstärke, werden diese Intentionsbewegungen wieder eingestellt. Nähert man sich weiter, werden sie schrittweise intensiver, bis das tatsächliche Instinktverhalten der Flucht in Form von Auffliegen gezeigt wird.

Dieses Intentionsverhalten kann als eine Möglichkeit der Kommunikation betrachtet werden, da im genannten Beispiel die Intentionsbewegung die Aufmerksamkeit der weiter weg befindlichen Gänse erhöht.

Eine Erhöhung der Handlungsbereitschaft über den für die Auslösung eines Instinktverhaltens notwendigen Schwellenwert löst allerdings zunächst kein solches aus, wenn es am Schlüsselreiz mangelt. 

Appetenzverhalten

Kann ein Instinktverhalten mangels eines Schlüsselreizes über längere Zeit nicht gezeigt werden, steigt die vom Zentralnervensystem mutmaßlich ausgelöste Handlungsbereitschaft immer weiter an und versetzt das gesamte Tier in Unruhe. Diese Unruhe mündet Lorenz zufolge in der aktiven Suche nach einem das Instinktverhalten auslösendem Schlüsselreiz. Diese Suche bezeichnet er als appetentes Verhalten oder Appetenzverhalten. Der Begriff „Appetenzverhalten“ ist mit dem Wort Appetit verwandt, die sich beide vom lateinischen „appetens“ ableiten, was „bestrebend“ übersetzt werden kann.

Da das Ausführen des Instinktverhaltens die Handlungsbereitschaft senkt und eben diese Senkung einen Lustgewinn bringt, wird die Instinkthandlung in diesem Zusammenhang als Endverhalten bezeichnet, deren Ausführung auch das vorangegangene Appetenzverhalten durch den Lustgewinn belohnt. 

Das Appetenzverhalten stellt also einerseits ein zielgerichtetes Werkzeug zur Ausführung des Endverhaltens dar. Es wird somit von Lorenz als „subjektiv zweckgerichtet“ bezeichnet. Dadurch grenzt er Appetenzverhalten und Instinktverhalten voneinander ab: Beim Instinktverhalten verfolgt nicht das einzelne Tier einen Zweck, sondern die gesamte Tierart verfolgt mit dem Verhalten einen Zweck, der den einzelnen Tieren nicht klar ist. Beim Appetenzverhalten verhält es sich umgekehrt: Dort verfolgt das einzelne Tier mit seinem Verhalten einen Zweck, was ganz dem Ansatz der Behavioristen entspricht, denen zufolge jedes Verhalten subjektiv zweckgerichtet ist, was eine Erziehung über operante Konditionierung ermöglicht. Über das Appetenzverhalten könnten daher beide Konzepte miteinander verbunden werden.

Da aber die Suche nach einem auslösenden Reiz durch Fortbewegung erfolgt, die bei vielen Arten durch einen artspezifischen, erbkoordinierten Bewegungsablauf erfolgt und insofern selbst ein Endverhalten oder eine Instinktbewegung darstellt, welche gemäß Lorenz´ Theorie über eigene Appetenzverhalten verfügen, stellt sich ein gewisses Abgrenzungsproblem zwischen Instinkt- und Appetenzverhalten ein, das besonders beim Jagdverhalten von beispielsweise Hunden deutlich wird: Das angestrebte Endverhalten ist wohl das Herunterschlucken der erbeuteten Mahlzeit, was das Jagdverhalten zu Appetenzverhalten machen würde. Andererseits zeigen manche unserer Haushunde Jagdverhalten, welches, in Anbetracht der guten Versorgung mit Futter durch uns, kein Appetenzverhalten sein kann, sondern ein als Endverhalten fungierendes Instinktverhalten sein muss. Die mit der Ausführung des Jagdverhaltens einhergehende Senkung der Handlungsbereitschaft für dieses Verhalten sorgt in diesem Fall für einen Lustgewinn, der belohnend wirkt. Und tatsächlich scheint die Jagd für manche Hunde „selbstbelohnend“ zu sein, denn es wird immer wieder gezeigt, auch wenn kein Tier erbeutet und das Jagdverhalten damit positiv verstärkt wird.

Hanna-Maria Zippelius führte 1992 außerdem aus, dass Beutetiere mit ausgeprägtem Fluchtinstinkt, z. B. Rehe oder Hirsche in vielen Teilen Deutschlands, sich mangels Fressfeinden wie Wölfen oder Bären auf Grund des Appetenzverhaltens auf die Suche nach solchen begeben müssten, damit diese als Schlüsselreiz für die Endhandlung „Flucht“ dienen.

Führt das Appetenzverhalten nicht zu einem Schlüsselreiz, kann das Instinktverhalten in einigen Fällen dennoch ausgeführt werden. In dem Fall spricht Lorenz von Leerlaufverhalten.

Psychohydraulisches Modell Verhaltensmodell

Seine Theorie, die das Zusammenspiel aus Handlungsbereitschaft, Schlüsselreiz und Verhalten erklären soll, hat er später mit dem von ihm sogenannten psychohydraulischen Modell plastischer und anschaulicher gemacht. Hier beschreibt er die Entscheidungszentrale im Tier als eine Art Wasserspeicher, der über einen Wasserzulauf und über ein Ablaufventil verfügt. An diesem Ventil ist über eine Schnur mit einer Schale befestigt. Nun stellt die Wasserzulaufleitung das zentrale Nervensystem dar, über das ständig der Soff, der die Handlungsbereitschaft erhöht, nämlich im Modell das Wasser, in den vom Wasserspeicher repräsentierten Entscheidungsmechanismus fließt. Der Wasserstand stellt die Handlungsbereitschaft dar. Je höher dieser ist, desto mehr Druck wird auf das Ventil ausgewirkt. Gleichzeitig ist das repräsentiert die Schale an der Schnur, die Rezeptoren für den Schlüsselreiz: Wird auf die Schale ein höheres Gewicht gelegt, zieht es am Ventil. Sind die beiden in gleicher Richtung auf das Ventil wirkenden Kräfte der Wasserstands und -drucks im Gefäß (Handlungsbereitschaft) sowie die ziehende Kraft des Gewichts (Schlüsselreiz) gemeinsam groß genug (Schwellenwert wird überschritten), öffnet sich das Ventil (Verhalten wird ausgelöst). Nun fließt das Wasser ab, bis Wasserdruck, also die Handlungsbereitschaft und das Gewicht an der Schnur, also der Schlüsselreiz gemeinsam nicht mehr genug Kraft haben, um das Ventil offen zu halten: In dem Moment wird das Verhalten wieder eingestellt und die Handlungsbereitschaft nimmt langsam wieder zu, weil aus der Zuleitung ja ständig Wasser in den Behälter nachläuft.

Lorenz hatte allerdings auch Verhalten beobachtet, das für ihn als Beobachter keinen Sinn zu machen schien. Hierfür prägte er zwei weitere Begriffe: Die Leerlaufbewegung und die Übersprungbewegung.

Leerlaufverhalten

Lorenz prägte den Begriff des Leerlaufverhaltens für spontan und ohne Schlüsselreiz ausgelöstes Instinktverhalten. Er hatte in seiner Jugend einen Vogel beobachtet, der nicht vorhandene Fliegen zu fangen versuchte und auch nach diesen schnappte, als Instinktverhalten komplett ohne erkennbaren äußeren Schlüsselreiz zeigte. Bekannt ist solches in der Literatur auch von anderen Tierarten, wie Kanarienvögel, die Nestbaubewegungen zeigen, ohne über entsprechendes Material zu verfügen. Auch Hundebesitzer können davon berichten, ihren Vierbeiner beobachten zu können, wie er für einen Knochen ein Loch in die Couch buddelt und das Loch dann mit nicht vorhandener Erde verschließt.

Übersprungbewegung

Im Gegensatz zum Leerlaufverhalten tritt eine Übersprungbewegung nicht ganz ohne Schlüsselreiz auf. Vielmehr handelt es sich um eine Instinktbewegung, die auf Grund des „falschen“ Schlüsselreizes gezeigt wird. Häufig wird als Beispiel das Picken nach Körnern genannt, das Hähne zeigen, wenn sie miteinander die Hackordnung austragen. 

Als Erklärung bot Lorenz Theorie an, dass eine Übersprungbewegung gezeigt würde, wenn zwischen zwei Instinktbewegungen ein Konflikt bestehe und dieses sich gegenseitig hemmen. Im Fall der Hähne wäre das das Kampfverhalten und das Fluchtverhalten. In diesem Fall würde eine Bewegung aus einem dritten Instinktkreis gezeigt, die mit der Situation in keinem Zusammenhang steht: Nämlich die Futteraufnahme. 

Reaktions- und Handlungsketten: gegenseitige Beeinflussung des Verhaltens 

Mit Reaktionsketten beschreiben Lorenz und Tinbergen die Interaktion zweier Vertreter einer Art untereinander. Sie stellen eine Abfolge von Schlüsselreizen dar, die jeweils im anderen eine Erbkoordination auslösen, die wiederum als Schlüsselreiz für die Instinkthandlung des anderen dient. Auf diese Weise kann z. B. das ritualisierte Balzverhalten einiger Tiere beschrieben werden.

Das Modell kann allerdings nicht beschreiben, warum nicht jede Begegnung zu einer Paarung führt: Das Modell der Reaktionshandlung lässt den Protagonisten keinen Raum für einen Abbruch der Balz und damit für die Partnerwahl. 

Kritik an der Theorie

Ungeachtet der Tatsache, dass zweifelsohne einige Verhaltensweisen und Bewegungen als angeboren, ererbt und instinktiv zu betrachten sind, geriet die komplexe Theorie von Lorenz und Tinbergen im Laufe der wissenschaftlichen Forschung aus unterschiedlichen Gründen in berechtigte Kritik.

In den 1990er Jahren kritisierte Hanna-Maria Zippelius die Theorie sehr tiefgehend rein geisteswissenschaftlich-argumentativ. Andererseits konnte die moderne Neurobiologie viele der durch Lorenz´ Theorie geforderten Mechanismen, allen voran die aktionsspezifische Energie in den zentralen Nervensystemen (ZNS) von Lebewesen nicht nachweisen. Mangels des Nachweises dieser vom ZNS produzierten Energie, die die Handlungsbereitschaft erhöht, ist das gesamte psychohydraulische Modell in Frage zu stellen. 

Für Hundehalter wichtig ist primär, dass Lorenz davon ausging, dass erbkoordiniertes Instinktverhalten unveränderlich durch Lernen sei. Dies gilt heute als überholt, da wir andernfalls unsere Hunde gar nicht erziehen oder konditionieren könnten.

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