Negative Verstärkung in Schule, Kindergarten & Hundetraining
Was ist negative Verstärkung?
Von:
Ulf Weber
Zuletzt aktualisiert am: 23.1.2025

- Negative Belohnung
Durch die negative Verstärkung wird ein Verhalten häufiger gezeigt. Die negative Verstärkung wirkt wie eine Belohnung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass einem bestimmten Verhalten als Konsequenz der Wegfall oder die Minderung eines unangenehmen Reizes folgt. Beispiel für negative Verstärkung: Es juckt am Kopf (= unangenehmer Reiz). Wenn Du Dich kratzt (= Verhalten oder Reaktion), juckt es danach weniger (= Konsequenz: Der unangenehme Reiz wird verringert). Daher wirst Du Dich immer wieder kratzen, wenn es juckt. Das Verhalten ist negativ verstärkt worden und tritt öfter auf. Das „negativ“ in „negative Verstärkung“ steht für das „Weniger werden“ bzw. das Wegfallen des unangenehmen Reizes.
Woher stammt die negative Verstärkung?
Die negative Verstärkung ist Teil der von B. F. Skinner ab den 1930er Jahren entwickelten operanten Konditionierung. Die operante Konditionierung ist eine behavioristische Lerntheorie und beschreibt das Lernen am Erfolg. Die negative Verstärkung stellt eine von vier möglichen Kombinationen aus Verhalten und Folge (Erfolg) dar. Diese vier sind im Kontingenzschema darstellbar. Es handelt sich um zwei Arten der Verstärkung (positiv und negativ) sowie zwei Arten von Strafen, ebenfalls positiv und negativ.
Wie hat Skinner die negative Verstärkung gezeigt? Ein Beispiel aus dem Labor
Skinner hat für seine Versuche Tauben in die nach ihm benannte Skinner-Box gesperrt. In dieser konnte er den Boden unter Strom setzen. Dieser Strom wurde von den Versuchstieren als unangenehm empfunden. An der Wand der Box befand sich ein Tast-Schalter. Wurde dieser von den Tauben durch Picken ausreichend fest berührt, unterbrach er den Stromfluss.
Die Taube wurde also dauerhaft einem unangenehmen Reiz (Strom im Boden) ausgesetzt. Durch das Verhalten (picken auf den Schalter) wurde dieser unangenehme Reiz beendet – es trat also eine angenehme Konsequenz des Verhaltens ein. Das Verhalten „Picken auf die Schaltfläche“ trat fortan häufiger auf, wenn der unangenehme Reiz „Strom im Boden“ verabreicht wurde. Das Verhalten beendete oder negierte also den Reiz und wurde somit negativ verstärkt.
Wie wird die negative Verstärkung definiert?
Verkürzt lautet die Definition der negativen Verstärkung heute:
Negative Verstärker lassen die Auftretenswahrscheinlichkeit eines gezeigten Verhaltens dadurch steigen, dass etwas als unangenehm Empfundenes (z. B. Reiz) in Folge des Verhaltens gar nicht erst eintritt, gemindert oder ganz entfernt wird.
Mit solchen „Reizen“ ist nicht nur Schmerz gemeint. Es kann sich zum Beispiel auch um Strafen (Haft, Hausarrest, Führerscheinentzug) oder als unangenehm empfundene Tätigkeiten wie Hausaufgaben handeln, wenn diese durch ein bestimmtes Verhalten (Gute Führung, Teilnahme an Verkehrsschulungen, konzentriertes und zügiges Abarbeiten) schneller beendet werden.
Skinner definierte aber ausschließlich von seinen Beobachtungen und der Wirkung ausgehend: Tritt ein Verhalten öfter auf, wenn in Folge des Verhaltens ein Reiz entfernt oder negiert wird, handelt es sich um einen negativen Verstärker. Der Reiz muss dann als unangenehm empfundenen worden sein.
Was ist der Unterschied zwischen negativer Verstärkung und positiver Verstärkung?
Der methodische Unterschied zwischen negativer Verstärkung und positiver liegt in zwei Faktoren. Bei der negativen Verstärkung wird mit unangenehmen Reizen und bei der positiven mit angenehmen Reizen gearbeitet. Andererseits endet bei der negativen Verstärkung der Reiz als Folge des Verhaltens, während er bei der positiven beginnt. Auf das Enden und Beginnen der Reize weisen auch die Attribute positiv und negativ hin. Diese sagen nicht aus, dass die Folge oder Konsequenz des Verhaltens als Ganzes angenehm oder unangenehm ist: Bei einem Verstärker ist die Folge eines Verhaltens immer angenehm. Denn entweder endet (fachsprachlich: negativ) ein unangenehmer (fachsprachlich: aversiver) Reiz, oder eine angenehmer (fachsprachlich: appetitiver) Reiz beginnt (fachsprachlich: positiv).
Nur, weil die Konsequenz eines Verhaltens sowohl bei negativer als auch bei positiver Verstärkung als angenehm(er) empfunden wird, als es die Ausgangssituation war, wird die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens durch beide Verstärker-Arten erhöht.
Allerdings existieren neben den methodischen Unterschieden zwischen der negativen Verstärkung und der positiven auch noch Unterschiede in der Wirkung. Denn durch die negative Verstärkung werden Flucht- und Vermeidungsverhalten erzeugt.
Wie erzeugt negative Verstärkung Flucht- und Vermeidungsverhalten?
Das klassische Beispiel eines durch negative Verstärkung erzeugten Fluchtverhaltens stammt ebenfalls aus dem Labor.
Dort wurde eine Skinnerbox durch eine zu überspringende Wand in zwei Hälften geteilt. Außerdem konnten die Böden der beiden Hälften getrennt unter Strom gesetzt werden. Die Versichstiere konnten dem Stromreiz (aversiver Reiz) durch den Sprung über die Wand (Verhalten) in die nicht unter Strom stehenden Teil gelangen: Der Reiz endete für die Tiere. Gleichzeitig ist der Sprung über die Wand ein klassisches Fluchtverhalten.
Beispielsweise durch Hinzufügen eines Hinweisreizes kann aus dem Fluchtverhalten leicht ein Vermeidungsverhalten werden. Zeigt das Aufleuchten einer Lampe (Hinweisreiz) an, dass in Kürze der Strom als unangenehmer Reiz eingeschaltet wird, lernten die Tiere schnell, schon jetzt über die Wand zu springen und nicht erst auf den Stromreiz zu warten. Der Sprung über die Wand ist dann ein Vermeidungsverhalten.
Ist negative Verstärkung beim Hund gut oder schlecht?
Bei negativer Verstärkung geht es um die Beendigung bzw. Vermeidung unangenehmer Reize. Gert Mietzel ist der Ansicht, dass auf einen unangenehm-aversiven Reiz stets mit Flucht- oder Vermeidungsverhalten reagiert wird *. Folglich ist jedes Verhalten, das über negative Verstärkung konditioniert wird, zwar eine erwünschte Verhaltensweise, dennoch aber gleichzeitig ein Fluchtverhalten oder eine Vermeidungsreaktion gegenüber dem aversiven Reiz.
Da dies bei der positiven Verstärkung nicht der Fall ist, sollte sie immer die erste Wahl sein. Dennoch wird die negative Verstärkung beim Hund und seiner Erziehung öfter angewendet, als vielen Menschen bewusst ist. Verdeutlicht werden kann dies anhand folgender Beispiele mit negativer Verstärkung bei Hunden.
Beispiel negative Verstärkung beim Hund # 1:
Negative Verstärkung kann auch stattfinden, ohne dass sie bewusst als Lehr- oder Trainingsmethode eingesetzt wird. Hat ein Hund einen Stachel im Pfotenballen, verursacht dieser sicherlich Schmerzen (unangenehmer Reiz). Läuft er nicht weg oder kommt gar angelaufen, gibt die Pfote und zieht sie nicht weg (Verhalten), kann sein Mensch den unangenehmen Reiz beenden, indem er den Stachel findet und entfernt. Diese Verhaltensweisen werden dann häufiger gezeigt, wenn der Hund Schmerzen an der Pfote hat.
Was ist negative Verstärkung bei Hunden? Beispiel # 2:
In einer Trainingssituation wird ebenfalls auf die negative Verstärkung beim Hund zurückgegriffen.
Soll ein Hund ins Sitz gebracht werden, spielt die negative Verstärkung eine Rolle. Hier bieten sich zwei Möglichkeiten, dies zu erreichen. Bei einer der beiden ist der Einfluss der negativen Verstärkung leichter erkennbar. Bei ihr wird mit einem Finger leichter Druck auf die Kruppe ausgeübt (unangenehmer Reiz). Um dem Druck nachzugeben und sich ihm zu entziehen, kann der Hund hinten in die Knie gehen und Sitz machen (Verhalten). Hierdurch endet der Druck (negative Verstärkung) auf die Wirbelsäule.
Geht dieser Abfolge immer das Kommando „Sitz“ als Hinweisreiz voraus, wird der Hund auf Grund der negativen Verstärkung das Verhalten „Hinsetzen“ als Vermeidungsverhalten ausführen.
Negative Verstärkung beim Hund Beispiel # 3:
Wird der Hund über die im folgenden Beispiel beschriebene, verbreitete Technik ins Sitz gebracht, enthält auch diese eine Sequenz, in der die negative Verstärkung eine Rolle spielt.
Hier wird dem Hund eine nach Futter riechende, geschlossene Hand vor die Nase gehalten. Diese Hand wird dann mit erhobenem Zeigefinger von der Hundenase aus nach oben geführt. Der Hund verfolgt die Hand mit den Augen und blickt nach oben. Dabei überstreckt er seinen Hals (unangenehmer Reiz). Um der Überstreckung entgegenzuwirken, macht er Sitz (Verhalten): Die Wirbelsäule und der Hals bilden wieder eine Linie, obwohl der Hund nach oben schaut. Die Überstreckung endet und der unangenehme Reiz ist beendet.
Negative Verstärkung - Beispiele aus der Schule
Auch in der Schule liegt immer dann eine negative Verstärkung vor, wenn die Schülerschaft ein Verhalten häufiger zeigt, um eine als unangenehm empfundene Situation zu beenden oder zu vermeiden.
Da Menschen und daher auch Schüler Strafen gerne vermeiden, kann die Androhung von Strafen negativ verstärkend wirken.
Negative Verstärkung in der Schule - Beispiel # 1
So kann beispielsweise die bei Schüler*innen eher unbeliebte stille Einzelarbeit an Arbeitsblättern oder bei den Hausaufgaben (unangenehmer Reiz oder besser: Situation) durch konzentriertes Bearbeiten (Verhalten) schneller zu einem Ende kommen.
Negative Verstärkung in der Schule - Beispiel # 2
Ist die Klasse bei der mündlichen Besprechung eines Themas sehr unruhig, kann umgekehrt die Androhung einer stillen Arbeit als Strafandrohung begriffen werden. In Folge wird die Klasse ruhiger (Verhalten) und die Strafe bleibt aus.
Negative Verstärkung - Beispiele Kindergarten
Ähnlich wie in der Schulklasse kann die negative Verstärkung auch im Kindergarten angewendet werden.
Negative Verstärkung Beispiel Kindergarten # 1
Raufen die Kinder beispielsweise sehr wild im Sandkasten, kann die Betreuung stille Bastelzeit androhen, falls die Kinder nicht ruhig mit Schaufel und Förmchen im Sand spielen. Dann wäre das ruhigere Spiel mit den Förmchen das Verhalten, das den Eintritt der Strafe (unangenehme Konsequenz) ausbleiben lässt und durch das Ausbleiben der unangenehmen Konsequenz negativ verstärk wird.
Negative Verstärkung Beispiel Kindergarten # 2
Durch einen Bienenstich in die Hand empfindet ein Kind den entsprechenden Schmerz (=unangenehmer Reiz). Geht es hierauf zur Betreuung (Verhalten), zieht diese den Stachel und trägt ein Schmerzgel auf. Der Schmerz wird hierdurch weniger. Durch die Verringerung des Schmerzes (unangenehmer Reiz) wird das Verhalten „zur Betreuung gehen“ negativ verstärkt.
Negative Verstärkung - Fazit
Uns allen wäre eine Welt, in der wir Erziehung von Kindern, Tieren und Hunden als auch im Training nur mit positiver Verstärkung bewerkstelligen könnten, am liebsten. Auf sie sollten alle, die erzieherische Aufgaben wahrnehmen, ihren Fokus legen.
Dennoch ist die negative Verstärkung in der Welt omnipräsent. Sie wird nicht nur von Trainern, Lehrern, Eltern oder Hundebesitzern bewusst in Training und Erziehung eingesetzt. Vielmehr wird sie von der gesamten Gesellschaft in zig Varianten verwendet. Selbst das Verhalten „Gute Führung“ im Gefängnis (unangenehmer Zustand) kann zu einer früheren Beendigung des unangenehmen Zustands wegen früherer Entlassung führen. Darüber hinaus unterliegen wir alle natürlichen Lernvorgängen, die ebenfalls auf negativer Verstärkung beruhen. Beispielsweise immer dann, wenn wir uns verletzen und erfolgreich gegen die Schmerzen vorgehen.
Weitere und tiefer gehende Informationen zu den Lerntheorien, ihrer Entwicklung und ihrem Einfluss auf die heutigen Trainingsmethoden für Hunde könnt Ihr in den unten verlinkten Artikeln unserer entsprechenden Reihe nachlesen.
Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
Quellen:
* Gerd Mietzel: Wege in die Psychologie. 8. Überarbeitete Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 1996, ISBN 3-608-91660-1. S. 182
- Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
- Hundetraining: Das erlernte Entspannen des Hundes mit Entspannungssignalen
- Lerntheorie II: Clicker- & Targettraining, Shaping & Chaining, Capturing & Co als angewandte Wissenschaft
- Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
- Hund & Baby - Was muss ich als Hundehalter beachten, wenn ein Baby zu Hause einzieht?
- Wilderei durch den Hund – kein Kavaliersdelikt
Hat dir der Inhalt gefallen? Dann teile ihn doch auch mit anderen: