Die Akquisitionsrate beim Training von Hunden

Was drückt die Akquisitionsrate im Hundetraining aus?

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Zuletzt aktualisiert am: 24.4.2024

Schwarz weisser Hund liegt ab und eine Menschenhand ist oben rechts zu sehen.jpg
Synonyme
  • Geschwindigkeit des Lernens
  • Lerngeschwindigkeit
  • Trainingsfortschritt

Mit der Akquisitionsrate wird die Lerngeschwindigkeit und der Lernfortschritt bzw. der Trainingsfortschritt gemessen und ausgedrückt.

Die klassische Konditionierung versteht das Lernen als die Bildung oder Akquisition von Verknüpfung unterschiedlicher Reize, sodass auf beide Reize hin dieselbe reflexhafte Reaktion gezeigt wird. Die operante Konditionierung versteht das Lernen als die Bildung oder Akquisition von Verknüpfungen zwischen Reizen und Verhaltensweisen. Die Löschung oder Extinktion genannte Auflösung dieser Kopplungen bezeichnet in beiden Lerntheorien gleichsam das Verlernen. Der Istzustand und die Geschwindigkeit, mit der der Auf- und Abbau der Kopplungen erfolgt, wird mit der Basis-, der Akquisitions- und der Extinktionsrate ausgedrückt, wobei die Raten aus unterschiedlichen Eingangswerten gebildet werden können.

Geschwindigkeiten aller Art werden generell in Raten ausgedrückt, die das Verhältnis zweier Größen zueinander darstellen. So wird die Fortbewegungsgeschwindigkeit als das Verhältnis zurückgelegter Strecke pro Zeiteinheit ausgedrückt: Kilometer pro Stunde, Meter pro Sekunde etc.

Wie können Basisrate, Akquisitionsrate und Extinktionsrate gebildet werden?

Zur Bestimmung der Lerngeschwindigkeit oder der Löschungsrate, aber auch der Basisrate müssen ähnliche Verhältnisse gebildet werden. Die Basisrate gibt jeweils den Ausgangspunkt vor einer Erziehungsmaßnahem wie einem Training oder einer Löschung an und stellt somit die Bezugsgröße für die Akquisitionsrate und die Extinktionsrate dar. Wie genau das geht, sehen wir weiter unten. 

In die Rechnung muss immer das Verhalten, das betrachtet werden soll, einfließen. Hierzu kann entweder jede Wiederholung des zu betrachtenden Verhaltens gezählt werden. Allerdings kann auch die Zeit, die mit dem Verhalten verbracht wird, gemessen werden. Das Ergebnis wird auf eine andere Größe bezogen, die ebenfalls wählbar ist. Infrage kommt hier beispielsweise wieder die Zeit, um eine Aussage wie „Hund liegt 20 Minuten pro Stunde (im Korb)“ oder „Hund legt sich dreimal pro Stunde (in den Korb)“ zu treffen. 

Da die Erwartungshaltung der meisten Hundebesitzer darin liegt, dass der Hund eine bestimmte Verhaltensweise zeigt, wenn er von seinem Menschen das entsprechende Signal bekommt, kann statt der Zeit auch die Anzahl der Signale einfließen. Dann könnte man vor dem Beginn eines entsprechenden Trainings eine Aussage treffen wie „Der Hund macht 0mal Sitz pro 100 Signalen“, was aussagt, dass die Basisrate hier 0 ist. Zur selben Zeit wird der Hund sicherlich so etwas wie „30-mal Sitz pro Tag“ machen. Hierfür wäre die Basisrate 30/1 (Tag) oder 30/24 (Stunden) oder 1,25-mal pro 1 (Stunde).

Welche Bezugswerte sollen betrachtet werden?

Die Wahl der Bezugswerte zur Ermittlung der Basisrate hängt zunächst von der Zielsetzung der Ratenermittlung ab, die wiederum vom Trainingsziel abhängt. Um eine den Fortschritt oder die Lerngeschwindigkeit beschreibende Vergleichbarkeit zu erreichen, müssen die Bezugswerte bei allen drei Raten dieselben bleiben. 

Beispielsweise unterteilen die hier detalliert beschriebenen moderne Trainingsmethoden den Aufbau einer Kopplung von Signal/Hinweisreiz mit Verhalten/Reaktion und verhaltensbelohnendem Verstärker/Reiz in seine Einzelteile und somit in kleiner Trainingsziele. Für das Caputring oder das Shaping sieht die Unterteilung beispielsweise so aus: 

  1. Zuerst wird die Kopplung von Verhalten und Verstärker erstellt. 
  2. Dann wird das Signal konditioniert, um Signalkontrolle zu erreichen.
  3. Jetzt werden Kriterien wie 
    • Zeiträume, z. B. während derer eine Position wie „Sitz“ gehalten wird 
    • Entfernung,
      • über die ein Hund bei Fuß geht 
      • aus der er ins „Sitz“ gebracht werden kann) und damit die Distanzkontrolle gesteigert.
      • zu Ablenkungen gesenkt

Für den ersten Trainingsschritt bietet es sich an, die Anzahl der Wiederholungen eines Verhaltens auf einen Zeitraum zu beziehen: Anzahl Sitz pro Stunde. 

Im zweiten Schritt geht es um Anzahl der ausgeführten Übungen, z. b. Sitz, pro gegebenem Signal oder Durchgang, z. b. „Sitz“. Dieser Wert bewegt sich zwischen 0,00 und im Idealfall 1,00: Macht der Hund erst nach 2 Signalen oder Aufforderungen Sitz, liegt der Wert bei 1 Sitz durch 2 Signale = 0,5. Macht er pro Signal einmal Sitz, liegt er bei 1 Sitz durch ein Signal „Sitz“ = 1.

Soll das Kriterium „Zeit, in der die Position gehalten wird“ gesteigert werden, wäre eine mögliche Rate zur Beschreibung der Baseline Zeitdauer in der Position (Sitz) pro gegebenem Signal (Sitz) oder Durchgang/Wiederholung, gemessen durch gleichmäßiges Zählen.

Beim Entfernungskriterium kann eine Rate wie „gemeinsame Schritte pro Durchgang oder Signal“ verwendet werden.  

Die Kriterien „Distanzkontrolle“ und Nähe zu Ablenkungen sind rechnerisch etwas komplizierter. Hier geht es darum, dass der Hund zu 100 % gehorcht, die oben beschriebene Signalkontrolle also völlig hergestellt ist, wenn das Signal aus nächster Nähe zum Hund und in maximaler Entfernung zu Ablenkungen gegeben wird. Wird nun eines der Kriterien geändert, ist die Zielsetzung, dass dennoch wieder zu annähernd 100 % das Signal umgesetzt wird. Rechnerisch geht es also darum, bei gleichbleibender Baseline (=95-100 %) die Entfernung zwischen Hund und Hundeführer oder Ablenkung langsam zu verändern, wozu sich die 300-Pick-Methode (Link Teil 2 oder 3) eignet.

Von der Basisrate zur Akquisitionsrate oder Extinktionsrate

Wenn die Basisrate nach einer der o. a. geführten oder einer ähnlichen, nicht genannten Methode ermittelt ist und das Training beginnt, kann pro Trainingseinheit eine Basisrate gemessen werden. Diese wird sich langsam von Trainingseinheit zu Trainingseinheit verändern. Um beim Beispiel des freiwilligen „Sitz“ pro Stunde zu verwenden, hatten wir eine Basisrate von 1,25 Sitz pro Stunde festgehalten. Wird ab dem Folgetag jedes freiwillige Sitz mit einem Stück Futter positiv verstärkt, wird im Laufe der Zeit das Verhalten „Sitz“ öfter pro Zeiteinheit gezeigt, beispielsweise wie in der folgenden Tabelle dargestellt, wobei die eingetragenen Werte keine tatsächlich gemessenen sind:

Tag 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Basisrate (Sitz/Stunde) 1,25 1,3 1,5 1,8 2,5 4 7 14 25
Veränderungen zum Vortag   0,05 0,2 0,3 0,7 1,5 3 7 11

 

Aus den in den Zeilen „Veränderung zum Vortag“ und „Basisrate“ dargestellten Werten können Lernkurven erstellt werden, die den Fortschritt von einem Tag zum anderen darstellen.  

Um die Akquisitionsrate zu erhalten, bezieht man nun die Veränderung auf einen anderen Wert. Will man die Rate für jeden Tag bestimmen, wäre das „Veränderung zum Vortag“ durch „Basisrate am Vortag“, wie in der nächsten Tabelle dargestellt. Allerdings kann auch die Akquisitionsrate auch auf andere Zeiträume angewendet werden, z. B. kann gesagt werden, dass die Akquisitionsrate über das gesamte Training 1900 % beträgt: Die neue Basisrate liegt um 23,75 mal Sitz in der Stunde höher als die alte Basisrate vor dem Training, die 1,25 mal Sitz in der Stunde betrug.

Tag 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Basisrate (Sitz/Stunde) 1,25 1,3 1,5 1,8 2,5 4 7 14 25
Veränderungen zum Vortag   0,05 0,2 0,3 0,7 1,5 3 7 11
Akquisitionsrate   4% 15% 20% 39% 60% 75% 100% 79%

 

Würden, um im Beispiel zu bleiben, von Tag 10 an keine belohnenden Verstärker in Form von Futter mehr für ein Sitz gegeben, wären die Veränderungen zum Vortag negativ: Jeden Tag würde das Verhalten seltener gezeigt. An der Rechnung würde sich nichts ändern, aber das Ergebnis wäre die Extinktionsrate.

Praktische Anwendung im Hundetraining

Die Vorteile, diese Daten zu notieren, oder sie sich wenigstens bewusst zu machen, liegen darin, dass aus ihnen viel Information gezogen werden kann. Einerseits kann über die Lerngeschwindigkeit der Trainingserfolg festgestellt werden. Außerdem könn die Akquisitionsraten zu unterschiedlichen Übungen desselben Tieres verglichen werden. Hieraus kann abgeleitet werden, was ihm liegt und Spaß macht und was weniger. 

Auch ein Vergleich der eigenen Akquisitionsraten mit denen von anderen Hund-Mensch-Teams kann sinnvoll sein: Hierdurch kann erkennbar werden, dass am Trainingsprogramm und -ablauf vielleicht etwas verbessert und beispielsweise zu förderndes Verhalten schneller gelobt werden kann oder muss.

Durch den Vergleich von Extinktionsraten kann erkannt werden, welche (unerwünschten) Verhaltensweisen sehr löschungsresistent und somit schwer zu löschen sind und welche gewünschten zu schnell gelöscht werden. 

Auch können die Auswirkungen von Verstärker- oder Belohnungsplänen so verglichen werden um Verhalten einerseits mit hohe Akquisitionsraten aufbauen zu können, die gleichzeitig niedrige Extinktionsraten und somit eine hohe Löschungsresistenz aufweisen. 

Unsere dreiteilige Artikelreihe zur wissenschaftlichen Entwicklung und praktischen Anwendung der modernen Tiertrainingsmethoden kann Dir helfen, ein tieferes Verstädnis für die Basis-, Akquisitions- und Extinktionsrate zu entwickeln und dieses Verständnis inuitiver im Trainingsalltag anzuwenden.

Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings - Pawlow, Skinner & Co.

Lerntheorie II: Clicker- & Targettraining, Shaping & Chaning, Capturing & Co. als angewandte Wissenschaft

Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung

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