Der entspannte Tierarztbesuch
Hilfreiche Tipps & Ratschläge einer Tierärztin aus der Praxis.
Von:
Vanessa Lässig
Zuletzt aktualisiert am: 26.10.2023
Gestresste, zitternde Tiere, sitzen mit ihren noch aufgeregteren Besitzern im Wartezimmer. Beim Aufruf in den Behandlungsraum sträuben sie sich mit aller Kraft oder flüchten zur nächstbesten rettenden Türe. Bekommt man sie mit Mühe und Not doch noch auf den Behandlungstisch, fallen sie in Schockstarre oder werden aus Angst aggressiv. Allen Beschwichtigungsversuchen der zunehmend nervös oder wütend werdenden Besitzern zum Trotz.
Ein Alptraum – aber dennoch Alltag in den Tierarztpraxen.
Freudig erregte, schwanzwedelnde oder zumindest entspannt hineinlaufende Tiere sind leider eine Seltenheit. Dabei wäre es doch so einfach!
Beachtet man ein paar Dinge und investiert zu Beginn etwas Zeit, wird der Tierarztbesuch zum Klacks. Ganz nebenbei stärkt es die Mensch-Tier-Beziehung und erleichtert auch andere Alltagssituationen.
Keine Lust mehr auf Schweißausbrüche und Katastrophenalarm beim Tierarzt? Los geht’s!
Der Weg ist das Ziel!
Der beschwerliche Weg von zu Hause in die Tierarztpraxis.
Wichtige erste Ratschläge für Daheim
Meist beginnt das Drama schon daheim.
Die meisten Tiere werden nicht adäquat an Transportbox und/oder Autofahren gewöhnt und wittern sofort Gefahr, wenn Herrchen mit ihnen Richtung Garage läuft oder Frauchen die Transportbox aus dem Keller holt.
Schockstarre und Fluchtversuche werden dann schon Zuhause erprobt und der Stresslevel steigt vom Wohnzimmer bis auf den Behandlungstisch ins Unermessliche.
Dabei muss noch nicht mal der Tierarzt an sich der größte Stressfaktor sein.
Allein das hektische Einfangen durch nervöse oder unter Zeitdruck stehende Besitzer, eventuelles Einsperren in enge Transportboxen und aufregende Autofahrten sind gerade für empfindliche Hunde ein nervliches Abenteuer.
Daher gilt als erste Vorsorgemaßnahme: schrittweises Gewöhnen an Transportbox und Verkehrsmittel, egal ob Auto, Bus oder Bahn!
Dies gilt auch für Hunde, die später vermutlich nicht in einer Box transportiert oder im Bus mitgenommen werden müssen.
Man kann nie wissen, ob nicht doch mal das Auto streikt oder der Hund über Nacht in der Klinik bleiben muss und dort in einer Box schläft.
Gewöhnen Sie Ihr Tier mit viel Geduld und Bestätigung daran und nutzen Sie Box und Auto nicht nur für den Weg zum Tierarzt.
Ihr Hund wird entspannt mit Ihnen zur Praxis gehen und auch andere Alltagssituationen ruhiger meistern, wenn er beengte Räumlichkeiten, Verkehrslärm und wackelnden Untergrund kennt und als normal erachtet.
Hundetrainer und Tierärzte stehen Ihnen dabei gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Warten will gelernt sein!
Frühe Prägung mit äußeren Umweltreizen ist unbedingt notwendig.
Hilfreiche Maßnahmen für die Wartezeit in der Tierarztpraxis
In der Praxis angekommen (hoffentlich entspannt und ohne Zwischenfälle), muss noch wenige Minuten bis eventuell eine Stunde oder mehr auf die Untersuchung gewartet werde.
Dies ist ebenfalls für die meisten Tiere (und Besitzer) eine Herausforderung.
Fremde Menschen und Tiere kommen und gehen, der Lärmpegel ist je nach Andrang hoch, alles riecht intensiv, Nervosität, Aufregung und Angst liegen in der Luft. Um auch diese Hürde erfolgreich zu meistern, kann man daheim üben.
Nehmen Sie Ihren Hund in öffentlichen Verkehrsmitteln mit, besuchen Sie mit ihm Cafes/Restaurants, gewöhnen Sie ihn an Menschenmengen, andere Tiere und Geräusche aller Art. Ist Ihr Tier auch mal Trubel gewöhnt, wird er im Wartezimmer entspannter sein.
Schließlich kann man von einem Hund, der 22 Stunden am Tag wohlbehütet daheim in seinem Körbchen verbringt und andere Menschen und Tiere nur von flüchtigen Begegnungen beim Gassi gehen kennt, nicht erwarten, dass er im Wartezimmer Ruhe bewahrt.
Auch Kommandos wie „Steh“, „Sitz“, „Platz“, „Leg dich“ oder „Relax“ sollten daheim geübt werden.
Sie erleichtern nicht nur das Warten, sondern sind auch wichtige Hilfsmittel bei der nachfolgenden Untersuchung.
Fragen Sie Ihren Tierarzt nach der Möglichkeit von „Kennenlernbesuchen“ oder „Übungsbesuchen“. Die Praxen profitieren schließlich von ruhigen Patienten und helfen Ihnen daher gerne.
Sollte Ihr Hund beim Umgang mit Mensch und Tier schon Profi sein und Wartezeiten entspannt überbrücken könne, vergessen Sie bitte trotzdem Halsband/Geschirr und Leine nicht!
Auch der verträglichste Hund kann in Extremsituationen ungewohnt reagieren und es ist auch nicht automatisch jeder andere Hund auf den Ihrigen gut zu sprechen. Auf dem Parkplatz kann es ebenso zu Ausnahmesituationen kommen und nichts wäre sinnloser, als ein sich erschreckender Hund, der aus Reflex vor das nächste heranfahrende Auto rennt.
„Untersuchung“ – nicht „unterm-Tisch-suchen“!
Wie die Behandlung beim Tierarzt funktionieren sollte und welche Maßnahmen helfen.
Durch Trainingsübungen wird der Tierarztbesuch und die Behandlung deutlich vereinfacht
Viele Hunde meistern den Weg bis ins Wartezimmer und die nachfolgende Überbrückungszeit hervorragend, schalten aber spätestens bei Aufruf ihres Namens auf Stur. Da passen 35kg Schäferhund plötzlich unter den kleinsten Stuhl oder 2kg Chihuahua kleben mit allen Vieren von sich gestreckt wie ein Saugnapf am Boden. Damit Sie Ihren Liebling nicht ins Behandlungszimmer schleifen und dabei den Boden wischen müssen, üben Sie unbedingt das Kommando „Fuß“ oder vergleichbare Kommandos mit ihm! Hat der Hund diesen Befehl verinnerlicht und automatisiert, so wird er auch in ängstlichem Zustand darauf hören. Vielleicht nicht so gut, wie beim Training oder Gassigang, aber er weiß zumindest was von ihm erwartet wird. Insbesondere Besitzer einer „Flexileine“ sollten das beherzigen! Diese Leinen sind ganz wunderbare Hilfsmittel, wenn man sie richtig bedient. Scheuen Sie sich nicht davor, die Arretierungsfunktion zu benutzen! Sie ist nicht umsonst dort angebracht. Nichts ist anstrengender, als einen mit Fluchtgedanken vollgepumpten Hund einzufangen, der sich mit der ausgezogenen Flexileine um Stuhl, Besitzer und Helferin wickelt. So vermeiden Sie auch ungewollte Kontakte mit anderen Patienten, die im schlimmsten Fall in einer Rauferei enden könnten. Für den Gang auf die Waage oder Lahmheitsuntersuchungen ist ein gekonntes „Fußgehen“ ebenfalls essentiell.
Die nächste wichtige Übung, die gleichzeitig auch die Tier-Mensch-Beziehung stärkt, ist das Getragenwerden. Wenn der Hund nicht selbstständig auf den Tisch springen kann oder will, muss er notgedrungen hinaufgehoben werden. Was einfach klingt und eigentlich auch nicht schwierig ist, stellt für viele Besitzer eine Herausforderung dar. Im Alltag muss man das Tier selten bis nie hochheben, aber in bestimmten Situationen (z.B. Tierarztbesuch) oder spätestens wenn das Tier krank ist und nicht mehr laufen kann, sollte man wissen, wie es geht. Das Umschlingen der Beine des Tieres und hochheben wie einen Wäschehaufen ist effektiv, sollte aber vermieden werden. Es staucht die Wirbelsäule und belastet die Gliedmaßen. Dadurch kann es bei orthopädischen oder älteren Patienten zu Schmerzen führen. Wesentlich einfacher, auch bei größeren Hunden, ist die „Gabelstapler-Variante“: Der Hund sollte geradestehen, Sie gehen mit stabilem Stand neben ihm in die Hocke mit Blick auf die seitliche Brust/Bauchwand. Strecken Sie nun die Arme unter dem Bauch des Hundes aus, am besten auf Achsel- und Flankenhöhe und fassen mit den Händen an die seitliche Brust- und Bauchwand der anderen Körperseite. Nun können Sie den Hund wie ein Gabelstapler seine Paletten hochheben, ohne die Wirbelsäule des Hundes und Ihre eigene zu überlasten. Diese Variante kann bei schwereren Tieren auch von zwei Personen durchgeführt werden, indem je eine Person den Hund im Bereich der Achseln und eine ihn im Flankenbereich hochhebt. Eine weitere schonende Variant, insbesondere für kleine Hunde, ist die „Hängemattenvariante“: Der Hund sollte auch hier geradestehen und Sie gehen, wie bei der Gabelstaplervariante, neben ihm in die Hocke. Nun greifen Sie mit einem Arm zwischen die Vorderbeine des Hundes an seine Brust bzw. den Bauch. Mit dem anderen Arm greifen Sie durch die Hinterbeine an den Bauch. Der Hund liegt nun beim Hochheben wie über einem Baumstamm oder einer Hängematte auf Ihren Unterarmen. Wenn es die Größe des Hundes zulässt, können sie die Hände noch ineinander falten, um eine stabilere Auflage für den Hund zu bilden. Üben Sie das Hochheben und in diesen Positionen getragen werden mit ihrem Liebling, bis Sie sich beide damit wohlfühlen. Auch das Tragen durch andere Personen sollte Ihr Tier lernen, da es manchmal auch von Nöten ist, dass es durch fremde Personen auf den Tisch, ins Auto oder über ein Hindernis getragen wird (z.B. wenn Sie sich den Arm brechen oder anderweitig verhindert sind).
Hat der Patient es auf den Behandlungstisch geschafft, folgt die nächste Hürde: Ruhe bewahren während der Untersuchung. Jeder Tierarztbesuch beginnt mit einer allgemeinen Untersuchung. Egal ob Sie wegen Magen-Darm-Beschwerden, Lahmheit oder einer Impfung dort sind. Der Tierarzt wird Augen, Ohren, Maulhöhle inklusive Zähne, Herzschlag, Atmung und Körpertemperatur (rektale Messung) Ihres Hundes überprüfen, sowie eventuell den Bauch abtasten. Bei zusätzlichen orthopädischen oder neurologischen Untersuchungen werden außerdem Gliedmaßen von der Pfote bis zur Schulter/Hüfte und Reflexe an Gliedmaßen und im Gesicht geprüft. Dies kann sowohl am stehenden/sitzenden oder liegenden Tier erfolgen, je nach Problematik. Bei allergischen Reaktionen oder hormonellen Beschwerden ist es zusätzlich wichtig, dass der Hund sich auch im Genitalbereich oder an der gesamten Hautoberfläche untersuchen lässt. Für Röntgenaufnahmen muss er in Brust-, Rücken- oder Seitenlage ruhig auf dem Röntgentisch liegen, sich von anderen Personen anfassen und festhalten lassen. All diese Dinge können Sie mit Ihrem Tier zu Hause üben. Fassen Sie Ihren Hund regelmäßig an verschiedenen Körperstellen an, üben Sie das Öffnen des Maules, Untersuchen Sie die Pfoten, messen Sie gegebenenfalls auch Temperatur und trainieren Sie „Sitz“, „Platz“, „Leg dich“ und „Steh“. Natürlich immer mit Belohnungen, sodass er die Übungen positiv verknüpft. Wenn möglich, üben Sie diese Dinge auch mit Freunden, sodass Ihr Hund lernt, sich von anderen Menschen anfassen zu lassen. Auch eine Blutentnahme können Sie daheim simulieren, in dem Sie eine Pfote des Tieres in die Hand nehmen und leicht in die Haut des Unterarmes bzw. Unterschenkels zwicken (Simulation des Nadeleinstiches). Verbände anlegen kann ebenfalls geübt werden, in dem man sich eine Gliedmaße des Hundes nimmt und einen Schal, eine Binde o.Ä. für kurze Zeit darum wickelt. „Gib Pfote“ ist also nicht nur ein Kunststückchen, sondern durchaus auch eine wichtige Übung für den Tierarztbesuch. Wenn er das alles schon kennt und ruhig über sich ergehen lässt, sparen Sie viel Stress und Zeit und erleichtern sich auch eine später eventuell nötige Medikamenteneingabe.
In diesem Zusammenhang wollen wir an dieser Stelle auf eine wunderbare Trainingsmethode hinweisen, die den Hund durch entsprechende Trainingsübungen sukzessive auf den Tierarzbesuch und die dortigen Behandlungsmaßnahmen optimal vorbereitet. Das sogenannte Mecial Training hilft in diesem Fall effektiv weiter.
Um mehr über das Medical Training zu erfahren, steht daher unser Magazinartikel "Was ist Medical Training für den Hund und wofür ist es sinnvoll" zur Lektüre bereit.
Endspurt!
Lob und Belohnung nicht vergessen
Warum das Lob und die Belohnung an dieser Stelle so wichtig sind
Nach der Untersuchung nicht vergessen den Hund zu loben und eventuell mit Leckerlie oder Spielzeug zu belohnen! Wenn nicht nur Sie selbst, sondern ebenso der Tierarzt eine Belohnung gibt, wird auch der „böse“ Untersucher positiv verknüpft. Viele Tierarztpraxen haben Leckerlies parat, ansonsten bringen Sie am besten selbst ein paar mit. Gerne etwas ganz Besonderes, was ihr Liebling normalerweise nicht oder nur selten bekommt. So wird der Tierarztbesuch Highlight, statt zum Alptraum. Bitte nicht vergessen, auch von vorn herein entspannte Hunde für ihr gutes Benehmen zu belohnen!
Diesbezüglich wollen wir auf unseren Magazinartikel "Richtiges Loben und Motivieren beim Welpen und Hund" hinweisen, da dies ein unwahrscheinlich wichtiges Instrument innerhalb der Erziehung, positiven Verstärkung und dem Hundetraining einnimmt. Hier erfahren Sie hilfreiche Tipps, Techniken und Ratschläge, um mit dem Hund beim Üben und in der Praxis viel Erfolg zu haben.
Wenn Sie alle Tipps beherzigen und fleißig üben, sollte der Tierarztbesuch in Zukunft kein Problem mehr darstellen. Falls Sie Fragen haben oder Hilfe benötige, wenden Sie sich an Ihren Hundetrainer oder Tierarzt. Die Experten stehen Ihnen jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Viel Erfolg und Freude beim Üben!
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