Frustrationstoleranz vom Hund
Was bedeutet Frustrationstoleranz beim Hund?
Von:
Carsten Becker
Zuletzt aktualisiert am: 13.6.2024
Wenn man bei einem Hund von dessen Frustrationstoleranz spricht, ist damit seine individuelle Befähigung gemeint, mit einer situativen Enttäuschung und empfundenen Frustration durch Verzicht einem durch externe Einflüsse aufkommenden Wunsch oder erzeugten Erwartung umzugehen. Kurz, wie gut ein Hund Frust erträgt - dies besagt seine persönliche Frustrationstoleranz.
Die Frustsituation erhöht das Stresslevel und den Erregungszustand, denn schließlich handelt es sich um ein negativ empfundenes Gefühl und Erlebnis, das dem Hund emotionalen Frust beschert.
Die Frustrationstoleranz ist nicht angeboren.
Die Fähigkeit mit Frust umzugehen, geduldig und gelassen zu sein, Reizen und Umwelteinflüssen zu widerstehen, Selbstbeherrschung und -disziplin zu zeigen, innere Ruhe zu bewahren, gelassen zu bleiben etc. muss der Hund durch entsprechendes Hundetraining lernen.
Es bedarf also einem Lernprozess mit unterschiedlichem Ergebnis und Wirkung, die Frustanfälligkeit fällt also von Hundeindividuum zu Hundeindividuum unterschiedlich aus - die Frustrationstoleranz ist von Hund zu Hund unterschiedlich stark vorhanden und ausgeprägt.
Und wie so häufig in der Hundeerziehung, liegt der beste Zeitpunkt für das Erlernen, den Aufbau und die Entwicklung der Frustrationstoleranz im Welpenalter, damit der Hund ab dem Tag des Einzugs langsam und geduldig beigebracht bekommt, dass es Situationen und Bedürfnisse gibt, die nicht direkt befriedigt werden oder wo es auch mal generell NEIN heißt.
Die Frustrationstoleranz hilft dem Hund im Alltag entspannter und besser klarzukommen, denn so steckt er situative Frustration durch Umwelteinflüsse besser weg, lernt mit Rückschlägen umzugehen, Langeweile zu ertragen und dem Reiz der triebhaften Bedürfnisbefriedigung zu widerstehen und diese auszuhalten.
Warum die Frustrationstoleranz für das Halten und Führen eines Hundes im Alltag immanent und essentiell ist, zeigt sich bereits an den folgenden Beispielen:
Es geht mit ganz banalen Dingen schon früh los, denn der Welpe muss lernen während der Zubereitung seines Futters sich in Geduld zu üben und nicht an den Beinen seines Herrchens hochzuspringen, um dem Napf näherzukommen. Bis der Napf auf dem Boden platziert ist und die Freigabe anhand eines einstudierten Signals zum Fressen erfolgt, will erlernt sein. Klar reizen der Duft und Hunger innerlich, schließlich geht es um eine der wichtigsten Bedürfnisbefriedigungen schlechthin. Die Wartezeit und das ruhige Ausharren in der antrainierten Sitz- oder Liegeposition kann durchaus frustrierend sein, wenn man kurz vor der Ressource abliegt und dennoch gefühlt so weit weg ist, da man nicht dem Verlangen einfach nachgeben und draufstürzen darf. Der Welpe und Hund muss sich also beherrschen, Disziplin zeigen, den Verlockungen zunächst widerstehen. Hier helfen ihm die Impulskontrolle und die Frustrationstoleranz, denn sie wirken ineinander.
Bereits beim Züchter sieht es nicht anders aus, denn beim Fressen am Gemeinschaftsnapf schaffen es nicht alle Welpen gleichzeitig zu futtern, hier ist manchmal Geduld gefragt, bis jeder einzelne an der Reihe ist. Den Lernprozess, warten zu können, bis Platz an der Futterstation ist, erfährt der neugeborene Hund bereits beim Säugen mit seinen Wurfgeschwistern, denn häufig können aus Platzmangel auch nicht alle Hundewelpen gleichzeitig am Gesäuge der Mutter hängen.
Noch schwieriger kann dann die Situation werden, wenn die Familie am Esstisch sitzt und das leckere Hähnchen aus dem Ofen verteilt und verspeist wird. Hilfreich ist auch in diesem Fall, dass dem Welpe und Hund frühzeitig beigebracht wird, währenddessen auf seinem Platz zu warten und sich erst wieder zu erheben, wenn Herrchen dies durch einen trainierten Freigabebefehl zulässt. Sicherlich läuft dem einen oder anderen Vierbeiner durch den Hähnchenduft das Wasser im Maul zusammen und am liebsten würde er neben dem Tisch bettelnd sitzen, bis er endlich etwas abbekommt, aber dies muss er aushalten. Auch diese Situation wird ihn stressen, vor allen Dingen wenn es an Frustrationstoleranz fehlt, was dann zu unerwünschtem Verhalten führt, wenn er sich einfach vom Platz erhebt, Richtung Esstisch kommt, bettelt und fiept, womöglich noch mit seiner Pfote am Bein kratzt, um hoffentlich bei einem der Familienmitglieder Mitleid zu erhalten. Wird dann auch noch sein Betteln belohnt, in dem der Hund einen Leckerbissen gereicht bekommt, so macht er die Erfahrung ähnlich wie beim weinenden Kleinkind an der Kasse, das unbedingt das entdeckte Spielzeug oder die Süßigkeiten abstauben möchte, dass er nur lange genug jammern muss, bis er seinen Willen bekommt.
Würde hier das Kind nicht in Sachen Frustrationstoleranz durch die umsichtigen Eltern geschult, wie soll es sich erst später beim Fußballpielen unter Jugendlichen verhalten, wenn es nicht jedes Mal angespielt wird, sondern ein anderer Spieler aufs Tor schießt? Kennen wir nicht alle die Erlebnisse beim Mensch-ärgere-Dich-nicht, wie unschön es ist kurz vor dem Häuschen und anvisierten Ziel von einem Mitspieler rausgeworfen zu werden? Oder wie soll sich ein Erwachsener ohne Frustrationstoleranz verhalten, wenn der Chef eine angefragte Gehaltserhöhung verneint? Natürlich können alle Situationen persönlichen Frust und das Gefühl eines Rückschlags oder einer Niederlage hervorrufen, dies gehört aber unweigerlich zum Leben und Miteinander dazu - natürlich muss jedem einzelnen der Weg um mit derartigen Erfahrungen entsprechend umzugehen, frühzeitig geebnet und die notwendigen Lerninhalte konsequent vermittelt werden.
Aber was verhilft jedem Einzelnen weiter, um mit dem Frust umzugehen? Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung sind notwendig. Sprich man muss den Frust runterschlucken, damit umgehen und gewisse Dinge akzeptieren lernen. Denn es handelt sich um alltägliche Situationen, in denen man sich im Griff haben muss, impulsive Reaktionen und Handeln nicht das weitere Vorgehen prägen dürfen, auch wenn es im Innern brodelt und man manchmal lauthals schreien oder das Gegenüber würgen könnte. Denke man an dieser Stelle nur einmal an den täglichen Wahnsinn im Straßenverkehr.
Auch bei unseren Hunden ist dies nicht anders, denn sie werden ebenfalls jeden Tag mit derartigen Herausforderungen konfrontiert, von Umwelteinflüssen gereizt, ihre Triebe, Instinkte und Bedürfnisse durch allerlei Situationen angesprochen und auf die Probe gestellt. Aber auch sie können sich nicht einfach treiben und gehen lassen, sondern müssen lernen sich zu beherrschen und kontrollieren, egal wie groß die Versuchungen sein mögen, die Reize noch so sehr auf sie einwirken, ihre Emotionen hochkochen lassen und darauf reagieren wollen. Demgegenüber stehen aber unsere Regeln und Grenzen, die der Hund durch seine Erziehung vermittelt bekommt und an die er sich zu halten hat. Hier prallen dann gegensätzliche Welten aufeinander, da eigene situative Wünsche, Bedürfnisse, Triebe etc. des Hundes dem erwünschten Verhalten des Herrchens entgegenstehen. Dies kann mitunter sehr frustrierend sein - je höher aber dann die erlernte Frustrationstoleranz, desto entspannter und gelassener kann der Hund mit der Situation umgehen.
Wo hilft eine ausgeprägte Frustrationstoleranz dem Hund mit alltäglichen Vorkommnissen entspannter umzugehen?
Solltet ihr mit eurem Hund auf der täglichen Hunderunde unterwegs sein, er bereits von Weitem einen befreundeten Spielkumpanen entdeckt und sich in seine Richtung aufmachen will, ihr ihn aber mit Hilfe trainierter Kommandos zurückruft, muss er sein motiviertes Verhalten abbrechen, was in diesem Moment durch die Enttäuschung Frust hervorruft. Je höher nun die Frustrationstoleranz, desto besser wird er mit der Situation klarkommen.
Ebenso hilft ihm seine Impulskontrolle und individuelle Frustrationstoleranz für den Fall, dass eure Kinder mit Freunden im Garten Ball spielen und euer Hund am liebsten mitspielen und sich den Ball sichern würde. Nun habt ihr ihn aber vorab auf seinen angestammten Platz im Garten verwiesen, wo er sich ablegen und ausharren soll. Die Fähigkeit trotz des spannenden Trubels liegen zu bleiben und nicht einzugreifen, muss Schritt für Schritt gelernt werden und die Frustrationstoleranz hilft ihm derartigen Begebenheiten zu widerstehen und Folge zu leisten.
Wie schaut es aus, wenn der Hund mal wieder Anstalten macht und trotz bestem Wissen durch entsprechende Trainingsmaßnahmen auf Sofa, Sessel, Bett etc. springen will und ihr ihm dieses Verhalten versagt. Er wird in diesem Moment in seinem Verhalten eingeschränkt und gehemmt, was für Frustration sorgt.
Beim Gassigehen im Feld entdeckt euer Hund ein Reh oder Hasen. Angetrieben von seinem Jagdinstinkt, der von dem unwiderstehlichen Reiz und Impulstrigger des Wilds angesprochen wird, besteht nun allerhöchste Gefahr, dass er sich auf und davon macht und dem Wild hinterherhetzt. Erfolgt das Abbruchsignal und er bricht sein Verhalten wunschgemäß ab, so bedeutet dies einen Rückschlag und Enttäuschung pur, wodurch Frust aufkommt.
Ferner gibt es auch frustrierende Erlebnisse, die aber die Gesundheit und mitunter das Leben des Hundes schützen. Denn viele Hunde neigen dazu, mit der Nase am Boden beim Spazieren zu kleben, da sie damit ihre Umwelt erkunden und immense Gerüche aufnehmen und abarbeiten. Dabei stoßen sie immer wieder auf Dinge, die ihr Interesse wecken, besonders wenn es den Anschein erweckt, dass man es Fressen kann. Hier drohen aber böse Vergiftungen und Verletzungen durch Giftköder. Daher ist entsprechendes Training, z.B. Anti-Giftköder-Training, mehr als sinnvoll, um den Hund vor der Aufnahme zu bewahren. Natürlich mag der Duft sehr verlockend sein und die Selbstkontrolle schwer fallen - aber sie rettet unter Umständen das Leben des Hundes, auch wenn die Frustration auf Grund dem Versagen des Leckerbissens groß sein mag.
Aber auch jede andere Situation im Hundealltag, z.B. beim Klingeln an der Tür oder einer Begegnung unterwegs, in der ihr ein bestimmtes Verhalten wie Sitz/Platz und Bleib abruft, bedeutet Frust. Denn alle sonstigen externen Einflüsse und Außenreize bedeuten Ablenkung, sind viel interessanter und würden eine impulsive Reaktion hervorrufen, wenn sich der Hund nicht im Griff hätte und zurücknehmen würde.
In allen vorgenannten Fällen sorgt also eine gute Selbstbeherrschung dafür, dass der Hund trotz aller Impulse und Reize, die die äußeren Umwelteinflüsse auf ihn erzeugen und etwaiges extern motiviertes Verhalten hervorrufen, dass er sich zurückhält und nicht von seinen Emotionen treiben lässt. Eine gute Frustrationstoleranz hilft ihm innere und äußere Frustrationen zu ertragen, damit umzugehen und klarzukommen.
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