Balljunkie – Wenn das Ballspielen für den Hund zur (Verhaltens-) Sucht wird

Kann ein Hund durch Ballspielen süchtig werden? Hier findest Du die Antwort!

Von: , Mammalia AG
Zuletzt aktualisiert am: 17.5.2024

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Das wichtigste in Kürze

  • Was ist ein Balljunkie Hund?: Ein Hund wird zum "Balljunkie", wenn er obsessiv und zwanghaft Bällen nachjagt, was oft zu einer Verhaltenssucht führt.
  • Ursachen: Übermäßiges Ballspielen aktiviert das Belohnungszentrum des Hundes wie Suchtverhalten, was zu einer ständigen "Wanting" ohne "Liking" führt.
  • Folgen: Ein Hund kann als Balljunkie sozial isoliert werden, zeigt Stresssymptome und verliert das Interesse an anderen Aktivitäten.
  • Erkennung: Typische Anzeichen sind Hyperfokussierung auf den Ball, Ignorieren von sozialen Interaktionen und gesteigerter Erregungszustand beim Anblick von Bällen.
  • Behandlung: Therapie durch Verhaltensänderung und professionelle Anleitung ist erforderlich, um das Suchtverhalten zu managen.
  • Vorbeugung: Vermeide exzessives Ballspielen und fördere stattdessen abwechslungsreiche und angemessene artgerechte Spiel- und Trainingsformen.

Haben Sie jemals beobachtet, wie ein Hund beim Ballspiel unermüdlich einem Ball hinterherjagt, scheinbar ohne Müdigkeit und ohne das Interesse an seiner Umgebung? Dieses Verhalten kann mehr als nur leidenschaftliches Spiel sein – es könnte ein Zeichen dafür sein, dass Ihr Hund ein "Balljunkie" ist. Ein Hund, der als Balljunkie gilt, entwickelt durch das permanente monotone Ballspielen eine Sucht, die seine Gesundheit und sein soziales Verhalten tiefgreifend beeinflussen kann. Viele Hundehalter erkennen nicht, dass das, was als harmloses Spiel beginnt, sich zu einer ernsthaften Verhaltenssucht entwickeln kann.

Das Phänomen Balljunkie beim Hund ist keine angeborene Sucht, sondern wird durch falsche Aktivität erworben. Und leider sind sich manche Hundehalter dessen nicht bewusst. Sie meinen mit dem intensiven Ballspielen bei Spiel, Spaß und Sport ihrem Hund eine Freude mit dem Werfen von Bällen zu bereiten und damit etwas Gutes zu tun. Weit gefehlt: Denn viele Hunde verfallen durch das monotone Hinterherjagen beim Ballhetzen in einen Rauschzustand mit exzessiven Erregungslevel, wodurch der suchtleidende Balljunkie für nichts anderes mehr Augen hat und förmlich völlig unter Strom steht. Hektisch und durch den Stress völlig angespannt harrt der Hund winselnd neben Herrchen und Frauchen aus, wartet bis endlich der Ball geworfen wird und er wieder und wieder dem Ball hinterherrasen kann. Für den Balljunkie unter den Hunden gewinnt der Ball als Objekt der Begierde eine ausgeprägte Bedeutung, die situativ dazu führt, dass er beim Anblick des Bällchens durch den einwirkenden Reiz völlig die (Selbst-)Kontrolle verliert. Das fatale ist der selbstbelohnende Effekt, der dem Hund einen „Kick“ verleiht und dadurch den Drang erzeugt, dieses vermeintlich flashende Erlebnis immer wieder aufs Neue erleben zu wollen - typische Begleiterscheinungen bei bekannten Suchterkrankungen. Leidet also ein Balljunkie unter einer Sucht? Worauf gilt es zu achten und was kann man als Therapie gegen das unkontrollierte Suchtverhalten beim „ballspielenden“ Balljunkie tun?

In diesem Artikel beleuchten wir, wie das scheinbar unschuldige Werfen eines Balls zur Obsession werden kann, welche Auswirkungen dies auf Ihren Hund hat und was Sie tun können, um gesunde Spielgewohnheiten zu fördern. Geschrieben von Kristin Strauß, einer erfahrenen Verhaltensbiologin und Hundetrainerin, bietet dieser Artikel nicht nur wissenschaftlich fundierte Einblicke, sondern auch praktische Ratschläge für alle verantwortungsbewussten Hundebesitzer.

Erfahren Sie, wie Sie die Anzeichen eines Balljunkies erkennen, die Ursachen verstehen und effektive Strategien zur Prävention und Behandlung anwenden können, um das Wohlbefinden Ihres Hundes sicherzustellen. Bleiben Sie dran, um gut informiert die richtige Wahl der Beschäftigung für Ihren Hund treffen zu können – für ein glückliches, gesundes und ausgeglichenes Hundeleben.

Ein schwarz-weißer Hund der Rasse Border Collie läuft in hohem Tempo mit einem gelben Ball im Maul über eine grau-grüne kurzgeschnittene Wiese entlang eines hohen Holzverschlags.

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Was ist ein Balljunkie bei Hunden?

Entwickelt der Hund durch permanentes Balljagen / Ballhetzen beim Ballspielen eine Sucht, so wird er als Balljunkie bezeichnet.

Das ist ein Balljunkie unter den ballspielenden Hunden

Ein Bild, das sich auf vielen Hundewiesen oder auf dem Spaziergang bietet, ist ein Mensch, der seinem Hund einen Ball wirft, während der Hund hinterherrennt und den Ball zum Menschen zurück bringt. Doch längst wird nicht mehr nur einfach geworfen, sondern Ballschleudern oder Ballwurfmaschinen unterstützen oder ersetzen den Menschen komplett. Betrachten wir die Situation mal etwas genauer.

Definition Balljunkie Hund:
Als Balljunkie gilt ein Hund, der auf Grund monotonen Ballwerfens, verknüpft mit immer wiederkehrendem stereotypen Balljagen und Ballhetzen beim Ballspielen eine Verhaltenssucht ausgebildet hat, die mit typischen Begleiterscheinungen und Suchtsymptomen einhergeht.

 

Der Hund rennt hinter dem Ball her, packt diesen, schüttelt den Ball hin und her und bringt ihn geradewegs zum Menschen zurück. Hierbei wirft er den Ball vor die Füße des Menschen, fängt an zu bellen, förmlich zu kreischen, und wartet in angespannter Position, fast regungslos, darauf, dass der Mensch den Ball wieder wirft. Hinter ihm ist zwischenzeitlich ein anderer Hund aufgetaucht, der diesen mit der Vorderkörpertiefstellung und lockerer Körperhaltung anbellt. Doch der Hund hat keine Augen für einen Artgenossen, sondern verliert seinen Menschen und den Ball nicht aus den Augen. Ist der Mensch dabei nicht schnell genug, nimmt der Hund den Ball wieder ins Maul, kaut darauf herum und wirft ihn wieder vor dessen Füße. Dabei schaut er hektisch zwischen dem Menschen und dem Ball hin und her, seine körperliche Anspannung könnte größer nicht sein, sogar Zittern ist erkennbar. Begleitet wird dies durch schrilles Kreischen und hohes Bellen des Hundes. Dieser Ablauf wiederholt sich einige Male, bei jedem Mal ist der Ablauf fast identisch zum vorherigen Werfen. Mit jedem Mal hechelt der Hund mehr, die Ohren sind nach hinten gedreht, die Augen weit aufgerissen und die Pupillen sehr groß. Nach einigen Minuten verschwindet der Ball dann in der Tasche des Menschen. Nun springt der Hund wie ein Flummi neben seinem Menschen hin und her, auf und ab, bringt dabei schrille Belllaute hervor und lässt die Tasche des Menschen nicht aus dem Blick.

Viele Halter*innen sind sich sicher: Sie spielen gerade ausgelassen mit dem Ball und der Hund hat richtig Freude daran. Das erkenne man nicht zuletzt daran, dass der Hund hiermit überhaupt nicht mehr aufhören kann – stundenlang und bei jeder Temperatur könne er hinter dem Ball her hetzen, ohne eine Pause zu brauchen. Scherzhaft bezeichnen sie ihren Hund auch als "Balljunkie" oder „Bällchenjunkie“. Die Beschreibung des Hundes als regelrechter „Balljunkie“ bedarf einer näheren Betrachtung.

Ein beige Hund der Rasse Golden Retriever läuft auf einer eingezäunten Wiese und fixiert beim Ballhetzen einen gelben Ball.

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Was ist der Unterschied zwischen Ballspielen und Balljagen (Ballhetzen) bei Hunden?

Ballspielen = Spielverhalten und Balljagen = Beutefangverhalten!

Ballspielen vs. Balljagen

Um zu verstehen, warum der Hund ein Balljunkie wird, müssen wir verstehen, dass es sich bei dem oben beschriebenen, starren Ablauf keineswegs um Spiel, sondern um Beutefangverhalten handelt. Beutefangverhalten, auch Jagdverhalten, besteht aus mehreren, aufeinanderfolgenden Verhaltensweisen (s. Abbildung 1), wobei die genaue Bezeichnung dieser je nach verwendeter Literatur variieren kann (Leder, 2014; Strauß, 2023) und einzelne Verhaltensweisen, je nach Rassezugehörigkeit, auch entfallen können (Leder, 2014):

Hier wird anhand eines Schaubilds der schematische Ablauf des Beutefangverhaltens dargestellt.
Abbildung 1: schematischer Ablauf des Beutefangverhaltens. Der jeweiligen Bezeichnung (links) ist die entsprechende Beschreibung (rechts) zugeordnet.

 

In der beschriebenen Situation treten einige Verhaltensweisen des Beutefangverhaltens auf: Neben dem Blick und der starren Ausrichtung auf den Ball, werden Verhaltensweisen wie Hetzen, Packen und Beißschütteln und das gezielte Zurückbringen des Balls zum Menschen angeführt. Außerdem wird eine immer gleich ablaufende, stereotype Abfolge der Verhaltensweisen beschrieben. Insgesamt wird der Hund als angespannt mit hektischen Bewegungen dargestellt. 

Die nahezu stereotype Abfolge der Verhaltensweisen schließt echtes Spielverhalten aus, denn Spielverhalten weist einige Merkmale auf, die hier nicht vorhanden sind (z.B. Variation und Spielsignale). Weiterhin ist das Verhalten auf einen bestimmten Reiz hin, den Ball, ausgerichtet. Dabei werden Verhaltensweisen des Beutefangverhalten gezeigt (s. Tabelle 3). Ungerichtete Appetenz und Taxis entfallen, da der Reiz, der verfolgt werden soll, bereits ausgemacht wurde (Ball). Somit ist das Verhalten funktional und zielgerichtet und läuft genauso ab, wie im Ernstkontext. Auch das zielgerichtete Zurückbringen des Balls zum Menschen kann dem Beutefangverhalten zugeordnet werden. Es handelt sich um das Apportieren.

Appetenz I Entfällt
Taxis I Entfällt
Erbkoordination Entfällt
Appetenz II Gezieltes Orten des Balls
Taxis II Gezieltes Ausrichten auf den Ball
Endhandlung Hetzen, Zupacken, Beißschütteln und Apportieren


Tabelle 3: Zuordnung der in der Situation beschriebenen Verhaltensweisen zu den Verhaltensweisen des Beutefangverhaltens.

Auch interessant:
Da das Beutefangverhalten im Hundealltag beim Hund eine wichtige Rolle spielt, können Sie ergänzend unseren Artikel "Das Beutefangverhalten von Hunden" lesen und alles Wichtige dazu erfahren.
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Was löst das Balljagen beim "Ballspielen" bei Hunden aus?

Bei ballhetzenden Balljunkie-Hunden dominiert das sogenannte "Wanting" = freudige Erwartung eines positiven Reiz (Impuls) 

Balljunkies: Balljagen gibt dem Hund einen Kick und wirkt selbstbelohnend

Beutefangverhalten ist eine lebensnotwendige Handlung, weshalb es für das Überleben der Vorfahren unserer Haushunde unumgänglich war. Daher werden Verhaltensweisen des Funktionskreises des Beutefangverhaltens intrinsisch belohnt, in diesem Fall über das Dopamin-System. Dieses wird aktiviert, wenn das Tier einer lustbetonten Tätigkeit nachgeht, wodurch die Situation wiederum als lohnenswert und wiederholenswert eingestuft wird. Aufgrund der chemischen Verwandtschaft des Dopamins zum Noradrenalin, wird ebenso die Reizschwelle für das zukünftige Handeln gesenkt und auch die Vorfreude gesteigert (Gansloßer & Krivy, 2019).

Der Selbstbelohnungseffekt besteht allerdings, so Kent C. Berridge, aus zwei Komponenten. Die erste ist die freudige Erwartung des positiven Reizes, das sogenannte Wanting, die zweite die Erfüllung, wenn die Belohnung eintritt, auch als Liking bezeichnet. Beim Wanting spielt der Botenstoff Dopamin eine entscheidende Rolle. Welche Auswirkungen ein aus dem Ruder gelaufenes Dopaminsystem allerdings haben kann wird deutlich, wenn der Versuch von James Old und Peter Milner aus den 1950er Jahren betrachtet wird. Die Forscher führten ihren Versuch mit Ratten durch, die über einen Hebel eine Elektrode in ihrem Gehirn stimulieren konnten, die dann zur Dopaminausschüttung bei den Ratten führte. Infolgedessen stellten die Ratten die Nahrungsaufnahme, sowohl essen als auch trinken ein, und nahmen enorm ab (Gansloßer & Käufer, 2017). Ähnliches beschrieben Panksepp und Yovell (2014), die ausführten, dass eine Störung des Belohnungssystems zunächst zu Verhaltensveränderungen führte und nicht nur die Nahrungsaufnahme, sondern auch die Körperpflege vernachlässigt wurde. Schlussendlich steht am Ende dieser Verhaltenssucht der Tod, wenn nicht eingeschritten wird. Die Liking-Komponente der Selbstbelohnung wird durch andere Botenstoffe wie das Oxytocin, auch als Bindungshormon bezeichnet, oder die Endorphine, auch als Glückshormone bezeichnet, auch wenn es keine Hormone im eigentlichen Sinne sind (Gansloßer & Krivy, 2019).

Das löst bei Balljunkies das Balljagen / Ballhetzen im Hundekörper aus:
Übertragen auf den „Balljunkie“ wird deutlich, was im Körper des Hundes passiert, wenn dieser dem Ball hinterherhetzt: Wie die Ratten von Old und Milner wird bei diesen Hunden durchgehend die Wanting-Komponente erfüllt, während das Liking nicht eintritt. Daher sind auch ähnliche Verhaltensänderungen zu erwarten, wie sie auch bei den Ratten eingetreten sind.

 

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Wie wird ein Hund zum Balljunkie?

Das Übel liegt nicht im reinen Hinterhetzen des Balls. Hier gibt´s die Antwort darauf.

Hundedroge Ball: Das macht den balljagenden Hund zum Balljunkie

Es muss darauf hingewiesen werden, dass nicht das Zeigen des Verhaltens selbst, in diesem Fall des Verfolgens bzw. Hetzens, die Ursache für das hohe Suchtrisiko ist, sondern die „Zweckentfremdung“ dessen. Beim Beutefangverhalten tritt, wie oben beschrieben, ein Selbstbelohungseffekt durch zwei Komponenten ein. Während das Wanting besonders beim Hetzen eine Rolle spielt, wird nach erfolgreicher Beendigung des Jagens, also nach dem Töten und ggf. Fressen, die Liking-Komponente aktiviert. Bildlich gesprochen ist die Wanting-Komponente das Einschalten des Systems und die Liking-Komponente das Ausschalten. Bezogen auf das echte Beutefangverhalten (Anmerkung: mit „echt“ ist hier das Zeigen von Beutefangverhalten einem adäquaten Beutereiz, beispielsweise einem Reh oder Hasen, gegenüber, gemeint) löst nach der Endhandlung ein weiterer Reiz kaum noch das Wanting aus, wodurch das Individuum auch keine angenehme Vorfreude mehr empfindet, denn seine Bedürfnisse sind erfüllt. Beim Verfolgen des Balls tritt allerdings das Liking nicht ein, weshalb auch das Belohnungssystem weiterhin aktiviert werden kann.

Ein weiß-brauner kleiner Hund der Rasse Jack Russell Terrier dreht sich dynamisch auf einer Wiese nach einem Tennisball um und fixiert diesen mit offenen Augen.

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Balljunkie - Haben bestimmte Hunde und Hunderassen ein höheres Suchtpotential?

Manche Hunde und Rassen sind anfälliger für die Entwicklung einer Verhaltenssucht und damit zum Balljunkie zu werden.

Diese Hunde und Hunderassen sind besonders für das Suchtproblem "Balljunkie" anfällig

Das Dopaminsystem unterscheidet sich aber zwischen den einzelnen Rassegruppen, denn einige haben im Ruhezustand einen erhöhten Dopaminspiegel verglichen mit anderen Rassegruppen. Zu diesen Rassen, die Simon Gadbois als „dopamin dogs“ bezeichnet, gehören unter anderem Malinois (Varietät Belgischer Schäferhund), Border Collie, Parson Russell Terrier und Jack Russell Terrier (Käufer, 2014). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rassegruppe hat aber noch einen weiteren Einfluss auf das Risiko der Entstehung einer Verhaltenssucht. Denn gerade die Elemente der Beutefangkette, die Zuchtziel einer Rasse waren, gehen mit einer verringerten Reizschwelle einher. Das bedeutet, dass alle Rassegruppen, deren selektiertes Beutefangverhalten am ehesten den Verhaltensweisen entspricht, die sich mit dem Ballwerfen und -jagen decken, besonders leicht für solche Aktivitäten zu begeistern sind (Gansloßer & Kitchenham, 2012; Gansloßer & Krivy, 2019).

Vermerk:
Es gibt von Rasse zu Rasse und Hund zu Hund Unterschiede in puncto Anfälligkeit für suchtähnliches Verhalten wie dem bei Balljunkies.

Was kann ich präventiv bei Hunden mit erhöhtem Suchtpotential tun?

Wenn der Mensch sich nicht sicher ist, ob es sich um Spiel oder Beutefangverhalten handelt, sollte er sich Rat in einer qualifizierten Hundeschule holen, die den Unterschied kennt. Im Zweifel sollte der Ball eben gar nicht geworfen und auf sinnvolle und geeignete Alternativbeschäftigungen ausgewichen werden.

In welchem Lebensalter des Hundes ist das Balljagen besonders gefährlich?

In der Welpen- und Junghundzeit entwickelt sich das Gehirn sehr stark. Während dieser Zeit werden viele Verhaltensweisen beim Vierbeiner besonders nachhaltig gelernt und abgespeichert. Daher ist das erste Lebensjahr für Erziehung mit Impulskontrolle und Frustrationstoleranz reserviert und Balljagen sollte gerade in dieser Zeit keine Rolle im Leben des heranwachsenden Hundes spielen.

Ein junger beiger Hund liegt auf der grünen Wiese neben einem großen gelben Ball und schaut direkt den Betrachter an.

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Wie erkenne ich einen Balljunkie unter Hunden?

Typische Symptome und Begleiterscheinungen sind Anzeichen für eine Verhaltenssucht bei Balljunkies.

Balljunkie Hund: Symptome, Anzeichen und Kriterien einer "Ball"-Verhaltenssucht

Kommen wir zu unserer beschriebenen Situation zurück: Mit steigender Wiederholung werden Verhaltensweisen wie Hecheln, nach hinten gedrehte Ohren und aufgerissene Augen mit großen Pupillen beschrieben. Verschwindet der Ball in der Tasche, tritt der für Suchtkranke typische Kontrollverlust ein und der Hund versucht mit allen Mitteln, an den Ball zu gelangen. Bekommt er sein Suchtmittel nicht mehr, treten Entzugssymptome auf.

Balljunkie Hund: Symptome und Anzeichen für potentielles Suchtverhalten beim Ballspielen

  • Sobald der Ball entdeckt wird, starke Stimmungsänderung (Hund ist wie ausgewechselt)
  • Starkes Hecheln
  • Ausgeprägte Atmung und Herzfrequenz
  • Ausdrucksverhalten: nach hinten gelegte Ohren, aufgerissene Augen, erweiterte Pupillen
  • Lautäußerungsverhalten: Bellen, Winseln, Jaulen
  • Aufgeregtes Hin- und Herspringen
  • Extrem hohes Erregungslevel mit Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität, Stress
  • Zittern
  • Verlust der Selbstkontrolle und Unfähigkeit aus eigener Motivation das Hetzen zu beenden.
  • Kein Interesse an sonstigen Reizen aus der Umwelt
  • Bei Ansicht des Balls extrem niedrige Frustrationstoleranz
  • Nur noch „Augen“ für den Ball = Ball absolutes und einzig wahres Objekt der Begierde
  • Hund während des Ballspielens kaum ansprechbar, da wie in Trance
  • Will den Ball nicht mehr abgeben, zeigt mitunter Verteidigungsverhalten
  • Cool-Down-Phase nach dem Ballspielen: Es dauert extrem lange, bis der Stresspegel beim Hund wieder auf ein normales Level heruntergefahren ist und Ruhe einkehrt.
Tipp:
Halten Sie bitte aufmerksam beim Ballspielen ihren Hund im Auge. Denn Sie können zu jeder Zeit durch eindeutige Signale erkennen, wie es um die Stimmung ihres Vierbeiners bestellt ist. Über das Ausdrucksverhalten können Sie anhand von Körpersprache, Mimik, Gestik etc. genau sehen, ob ihr Hund verletzt ist oder Symptome einer möglichen Verhaltenssucht als Balljunkie zeigt. Im Zweifel bitte immer zum Wohlergehen und im Sinne der Hundegesundheit die Beschäftigung abbrechen und den Tierarzt bzw. die Tierärztin kontaktieren. Hier gilt: Safety first.
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Balljunkie: Was sind die Auswirkungen und Folgen für den Hund

Balljunkies leiden mehr oder minder unter individuellen Beschwerden.

Das sind die Folgen einer Ballsucht beim Hunde-Balljunkie

Leidet der Hund an einer Ballsucht und ist ein Balljunkie, so vereinsamt der Hund, da er das Interesse an seinem sozialen Umfeld verliert.

Weiterhin lösen Entzugssymptome körperliche Beschwerden wie Schlafmangel, Gewichtsverlust, Stimmungswechsel u.v.m. aus.

Allerdings sind die Entzugssymptome einer Verhaltenssucht beim Hund nicht wissenschaftlich untersucht. Es gibt aber zahlreiche mündliche Berichte durch Erfahrungen von Hundehaltern und Hundetrainern/Tierärzten/Verhaltenstherapeuten über das Auftreten von Entzugssymptomen bei Balljunkies.

Hierzu zählen unter anderem:

  • Herzrasen
  • Zittern
  • Reizbarkeit
  • Stimmungsschwankungen
  • Unruhe
  • Konzentrationsstörungen
  • Depressive Verstimmung
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Mein Hund ist ein Balljunkie - was kann ich tun?

Der Schlüssel zum Erfolg liegt im verhaltensmedizinisch begleiteten Entzug.

Therapie bei Balljunkies: Entzug

Die neuronalen Bahnen des Suchtverhalten bleiben dennoch erhalten – sie können schon durch einmaliges Durchführen der Suchtverhaltens (Hetzen) erneut aktiviert werden. Ursächlich hierfür ist, dass Lernprozesse, zu denen auch die Entstehung einer Sucht gehört, irreversible Spuren im Gehirn hinterlassen. Hierbei werden Verbindungen von einer zur anderen Nervenzelle aufgebaut, sodass eine vorgeschaltete Nervenzelle eine nachgeschaltete aktivieren kann. Zu Beginn des Lernvorgangs ist diese Verbindung noch nicht zuverlässig. Je öfter diese Verbindung jedoch benötigt und aktiviert wird, desto nachhaltiger bleibt die Verbindung bestehen, bis sie letztlich dauerhaft vorhanden ist. Bei der Löschung werden die angelegten Verbindungen nicht etwa abgebaut, sondern neue, hemmende Verbindungen aufgebaut. Wird das Verhalten wieder gezeigt, können die Verbindungen regeneriert werden und lösen schnell wieder alte Verhaltensmuster und körperliche Vorgänge wie die Vorfreude aus. Zusammenfassend sei daher angemerkt, dass Sucht somit nicht heilbar und die Rückfallquote hoch ist (Gansloßer & Krivy, 2019; Mehl, 2023). Ein solcher Entzug sollte niemals auf eigene Faust durchgeführt werden, sondern unter verhaltensmedizinsicher Aufsicht angeleitet werden (Hundetrainer*in, tiermedizinische Verhaltenstherapeut*in oder Tierärztin oder Tierarzt).

Bei der Behandlung von Suchtverhalten muss der Hund lernen, den Suchtdruck auszuhalten, auch wenn das Suchtmittel greifbar ist. Konkret sieht das für einen „Balljunkie“ so aus, dass er den Ball liegen und fliegen sieht, ohne dabei seinem Impuls (Hinterherhetzen) nachzugehen (Mehl, 2023). Aber Achtung: Das Aushalten des Suchtdrucks ist nur möglich, wenn der Hund zuvor einen Entzug durchgemacht hat.

Dringender Ratschlag:
Ein erforderlicher Entzug beim Hund, der an den Folgen einer ausgebildeten Verhaltenssucht leidet und ein "suchtkranker" Balljunkie ist, sollte immer aus Risikogründen in enger Zusammenarbeit und Begleitung eines erfahrenen Hundeprofis mit entsprechender Sachkenntnis erfolgen.

 

Ein hellbrauner Hund mit schwarzer Schnauze liegt abgeschlagen mit dem Kopf auf dem Boden und schaut in Nahaufnahme direkt den Betrachter an.

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Darf ich mit meinem Hund Ballspielen?

Natürlich, wenn die Aktivität mit dem Ball Spiel ist und nicht in Beutefangverhalten ausartet.

Ballspielen mit Hund: Spiel ja, Balljagen nein!

Bedeutet das nun, dass jedes Ballwerfen zwangsläufig süchtig macht? Nein! Schauen wir uns eine andere Situation an: Betrachten wir einen anderen Menschen, der den Ball für seinen Hund wirft. Der Hund rennt dem Ball hinterher, packt ihn und rennt damit in Richtung seines Menschen. Der Mensch hat sich aber entschlossen, in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Der Hund reagiert sofort und rennt mit lockerer Körperhaltung hinter seinem Menschen her. Bei diesem angekommen, lässt er den Ball fallen und rast eine kleine Runde um seinen Menschen. Der Mensch hat den Ball aufgehoben und rennt nun damit davon – der Hund mit einem breiten Grinsen im Gesicht hinterher. Als der Hund beim Menschen ankommt, rempeln sich beide gegenseitig an, der Mensch lässt den Ball fallen und nun kullern beide – Mensch und Hund – über die Wiese und kommen dann zum Stillstand. Mensch und Hund, beide aus der Puste, verweilen an Ort und Stelle und bleiben noch eine Weile gemeinsam auf der Wiese sitzen. Dem Hund fallen die Augen zu, er legt seinen Kopf ab und atmet tief ein und aus, ehe sie ihren Spaziergang nach einigen Minuten fortsetzen.

In dieser Szene gibt es keinen stereotypen Ablauf der Handlung, es gibt Spielsignale und Augenhöhe. Wir können also mit Fug und Recht von echtem Sozialspiel sprechen. Gerade im Hinblick auf das Risiko der Entstehung einer Verhaltenssucht kann nicht deutlich genug darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem stereotyp ablaufenden Ballwerfen keineswegs um Spiel handelt, sondern um Beutefangverhalten. Kurzum lässt sich also festhalten: Mit dem Ball spielen ist unbedenklich, den Ball zu jagen jedoch nicht.

Besonders tragisch ist es für den Hund, wenn sich das Ballwerfen bereits zu einer Verhaltenssucht manifestiert hat. Besonders die Tatsache, dass eine Sucht nicht heilbar ist und die Nervenverknüpfungen, die durch Lernprozesse entstanden sind, irreversibel und leicht regenerierbar sind, sollte dazu anregen, den Hund nicht in eine Verhaltenssucht zu treiben. Auch im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Hunden sei an dieser Stelle auf die Untersuchung von Sarah Heinze und ihrem Team (2014) hingewiesen, in der vier tödliche Attacken von Hunden auf Kinder untersucht wurden. In allen Fällen war nicht etwa das Aggressionsverhalten der Hunde für den Tod der Kinder ursächlich, sondern fehlgeleitetes Beutefangverhalten. Letzteres ist das Zeigen von echtem Beutefangverhalten inadäquaten Reizen (wie Kindern oder Objekten wie dem Ball oder anderes „Spielzeug“) gegenüber, hervorgerufen durch das Hinterherhetzen hinter Ersatzobjekten. Balljagen ist also nicht nur für den Hund problematisch, sondern kann auch für das gesamte Umfeld des Hundes sehr gefährlich werden.

Wichtiger Hinweis:
Alle körperlichen und geistigen Aktivitäten verbrauchen beim Hund viel Energie. Bitte achten Sie darauf, den Hund nicht zu überfordern, vor Spiel, Spaß und Sport auf Tauglichkeit zu checken, regelmäßige Pausen einzulegen und kurze und intensive Beschäftigungssequenzen zu präferieren. Der aktive Hund muss regelmäßig entspannen und entschleunigen, trinken und fressen sowie sich lösen können. Die Beschäftigungen müssen artgerecht und bedürfnisorientiert sein - auch in Bezug auf das Ballspielen mit dem Vierbeiner.
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Worauf sollte ich also beim Ballspielen mit dem Hund achten?

Auf das gesamte Ausdrucksverhalten des Hundes beim Ballspielen achten, um Warnzeichen frühzeitig wahrzunehmen und angemessen darauf als Hundehalter zu reagieren.

Augen auf beim Ballspielen, damit das Spiel nicht zum Balljagen und der Hund zum süchtigen Balljunkie wird

Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass eine eindeutige Unterscheidung von „Ballspielen“ und „Balljagen“ für weniger tragische Zwischenfälle, aber auch für mehr Wohlbefinden auf Seiten der Hunde sorgt. Ersteres ist nämlich dem Sozialspiel zuzuordnen und bereichert das Leben unserer Hunde enorm, letzteres kann zu einer echten, aber vermeidbaren Verhaltenssucht ausarten.

Statt des stereotypen und exzessiven Balljagens, sollte auf gemeinsame Beschäftigungsformen (Achtung: Wir verwenden hier nicht den gebräuchlicheren, aber weniger passenden Begriff Auslastung, s. hierzu auch Lexikon) oder Hundesportarten gesetzt werden. Ruhe, Entschleunigung und Pausen sollten eine wichtige Rolle im Leben des Hundes spielen.

Ein älterer beiger Hund der Rasse Labrador Retriever liegt auf einer Wiese neben einem Tennisball und schaut aufmerksam nach rechts in die Ferne


Literaturverzeichnis

Gansloßer, U. & Käufer, M. (2017): Auszeit auf Augenhöhe – Mensch-Hund-Spiel: Kleiner Einsatz mit großer Wirkung. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH &Co. KG, Stuttgart.

Gansloßer, U. & Kitchenham, K. (2012): Forschung trifft Hund. Neue Erkenntnisse zu Sozialverhalten, geistigen Leistungen und Ökologie. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH &Co. KG, Stuttgart.

Gansloßer, U. & Krivy, P. (2019): Verhaltensbiologie Hund. Praxisbuch. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH &Co. KG, Stuttgart.

Heinze, S., Feddersen-Petersen, D. U., Tsokos, M., Buschmann, C., & Püschel, K. (2014). Tödliche Attacken von Hunden auf Kinder. Rechtsmedizin, 24(1), 37-41.

Käufer, M. (2014). „Throw the damn ball“ – Warum Ballwerfen kein Spiel ist. In: Gansloßer, U. (Hrsg.), Expertenwissen für Hundehalter – Band 5 – …und weg ist er! – Jagdverhalten und mögliche Alternativen (S. 129–154). Filander Verlag GmbH, Erlangen.

Leder, G. (2014). Unterschiede und Besonderheiten im Jagdverhalten verschiedener Hundetypen. In: Gansloßer, U. (Hrsg.), Expertenwissen für Hundehalter – Band 5 – …und weg ist er! – Jagdverhalten und mögliche Alternativen (S. 37–58). Filander Verlag GmbH, Erlangen.

Mehl, R. (2023). Die Neurobiologie der Sucht im Spannungsfeld der Pubertät. In: Gansloßer, U. (Hrsg.), Expertenwissen für Hundehalter – Band 14 – Pubertät und Sucht bei Hunden (S. 135–142). Filander Verlag GmbH, Erlangen.

Panksepp, J., & Yovell, Y. (2014). Preclinical modeling of primal emotional affects (SEEKING, PANIC and PLAY): gateways to the development of new treatments for depression. Psychopathology, 47(6), 383-393.

Strauß, K. (2023): Funktionskreis Jagdverhalten. In: Gansloßer, U. (2023, Hrsg.): Verhaltensphysiologie & medizin. Wie innere Zustände das Verhalten beim Hund steuern. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH &Co. KG, Stuttgart.

Buch-Tipp: Empfehlung Fachliteratur rund um das Hundeverhalten

Sie sind an weiterer Literatur zum Verhalten von Hunden interessiert? Da haben wir genau das Richtige für Sie! Wir haben einige lesenswerte und hochinformative Bücher ausgesucht und können diese wärmstens als weitere ergänzende Lektüre empfehlen. Viel Freude dabei.

Verhaltensbiologie Hund - Praxisbuch: Wie Rasse, Geschlecht, Aussehen und Alter das Verhalten beeinflussen (Anzeige) von Udo Gansloßer (Autor) und Petra Krivy (Autor)
Forschung trifft Hund: Neue Erkenntnisse zu Sozialverhalten, geistigen Leistungen und Ökologie (Anzeige) von Udo Gansloßer (Autor), Kate Kitchenham (Autor)
Auszeit auf Augenhöhe: Mensch-Hund-Spiel: Kleiner Einsatz mit großer Wirkung (Anzeige) von Udo Gansloßer (Autor), Mechtild Käufer (Autor)
Mach mal langsam!: Entspannung und Entschleunigung für Mensch und Hund (Expertenwissen für Hundehalter) (Anzeige) von Udo Gansloßer (Hrsg.)
Hunde-Forschung aktuell: Anatomie, Ökologie, Verhalten (Anzeige) von Udo Gansloßer (Autor), Kate Kitchenham (Autor)

Häufig gestellte Fragen rund um das Thema Balljunkie beim Hund

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