Privilegien vom Hund
Welche Rolle spielen Privilegien in der Hundeerziehung?
Von:
Ulf Weber
Zuletzt aktualisiert am: 18.9.2024
- Rechte
- Vorrechte
Der Begriff „Privileg“ leitet sich vom lateinischen „privilegium“ ab und bedeutet „Vorrecht“. Privilegien werden als Ausruck der Rangfolge im Rudel gewertet. Der Platz auf Sofa oder Bett wird dem Haushund vom Menschen als Privileg gewährt. Der Entzug kann als negative Strafe gegen unerwünschtes Verhalten wirken.
Privilegien in natürlichen Rudeln
Die Forschung der Dominanz und damit zur Bildung der Rangordnung basiert auf der Beobachtung von Wolfsrudeln. Frei lebende Rudel bestehen aus bis zu drei Generationen umfassenden Familienverbänden: Es handelt sich also häufig um ein Elternpaar mit ihren Welpen aus zwei bis drei Jahren, von denen die Ältesten früher oder später abwandern. Da freilebende Wölfe aber schwer zu beobachten sind, wurden zunächst gefangene und in Gehegen in buntgemischten Rudeln lebende Wölfe studiert. In solchen Rudeln kommt es häufig zu Rangordnungskämpfen, denn einerseits ist die Rudelstruktur unnatürlich und andererseits kann kein Wolf abwandern.
Der Unterschied zwischen einem ranghöheren und einem rangniedrigeren Tier ist in einem freilebenden Rudel also leicht erkennbar, da die älteren höher in der Hierarchie stehen, als die jüngeren. Innerhalb der Alersgruppen ist sie aber anhand der Privilegien gut erkennbar, denn der Ranghöhere verfügt gegenüber dem Rangniedrigeren immer über solche Vorrechte. Solange der Rangniedrigere seine Position in der Rangordnung akzeptiert, wird er diese Privilegien widerstandsfrei zugestehen und einräumen.
Üblicherweise frisst der Ranghöhere vor dem Niedrigeren, da er an der Jagd beteiligt war. Er kann dessen Ruheplatz beanspruchen, wenn ihm danach ist. Bevorzugte Ruheplätze liegen ihn von dem häufig auf einem erhöhten Platz. Wer dort liegt, übernimmt auch die Verantwortung, das Gelände für das gesamte Rudel im Auge zu halten. Auch darf er ihn berühren, um beispielsweise Zecken zu entfernen und initiiert und beendet alle Aktivitäten vom Jagdbeginn oder Ortswechsel bis zum Spiel, wobei er auch die Art des Spiels oder die Richtung der Fortbewegung festlegt. Allerdings wird ein höherrangiger Hund nicht aus Prinzip auf seine Privilegien beharren und versuchen, so seinen Rang darzustellen. Vielmehr wird es sie nur dann in Anspruch nehmen oder durchsetzen, wenn es für sich einen Vorteil im Privileg selbst sieht.
Schon an der Aufzählung der „natürlichen“ Privilegien in den Rudeln der Hundeartigen lässt sich erkennen, dass mit den Privilegien auch Verantwortung einhergeht: Das Recht, zu entscheiden, wohin sich das Rudel begeben soll oder wann eine Jagd beginnen soll, haben einen direkten Einfluss z. B. auf den Erfolg der Jagd und damit auf die überlebenswichtige Ernährungssituation der gesamten Gruppe.
Privilegien in Hund-Mensch-Rudeln
Die oben beschriebene Systematik lässt sich auch auf gemischte Hund-Mensch-Rudel übertragen, denn die Veranlagung der heutigen Haus- und Familienhunde zur hierarchischen Organisationsstruktur ist angeboren, gleichsam instinktiv.
Daraus folgt, dass ein Hund, dem sehr viele Privilegien eingeräumt werden, tendenziell annehmen wird, er stehe in der Rangfolge über den Menschen, die ihm diese im Hunderudel mit der Führungsrolle einhergehenden Privilegien freiwillig überlassen. Zu den vom Menschen eingeräumte Privilegien zählen
- freie und ständige Verfügbarkeit von Futter, statt
- einen Teil der Tagesration aus der Hand als Belohnung bzw. positive Verstärkung im Training für vom Menschen gewünschtes Verhalten
- den Hund erst fressen lassen, wenn die menschliche Mahlzeit beendet ist
- den Hund während des Napffüllens sitzen zu lassen (um vom Hund nicht bedrängt zu werden und ausreichend Ruhe und Platz zu haben) und den Zugang zum Futter anschließend explizit mit einem Signal wie „Friss“ freizugeben
- freie Platzwahl Hundes, auf die der Mensch im Extremfall Rücksicht nimmt (Hund sitzt auf dem Fernsehsessel, verteidigt diesen im Extremfall, Mensch sucht anderen Platz) statt
- eines festen Platzes für den Hund, an dem dieser aber auch nicht gestört werden darf, z. B. von Kindern
- einer oder mehrerer Tabuzonen im Raum, der Wohnung oder dem Haus, z. B. das Bett oder Sofa oder die Küche.
- Spiel häufig oder immer nur nach Spielaufforderung des Hundes, anstatt das Spielbedürfnis des Tieres vorausschauend zu erfüllen
- Gassirunden häufig oder immer nur nach Aufforderung des Hundes (bringt Leine, geht zur oder kratzt an der Tür), anstatt das Bewegungs- und Verdauungsbedürfnis des Tieres vorausschauend zu erfüllen
- dem Hund schon beim Verlassen der Wohnung das Recht einzuräumen, die Richtung zu bestimmen, indem er vor dem Menschen durch die Tür geht.
- Laufrichtung während der Gassirunde darf der Hund vorgeben, der Mensch folgt ihm hinterher (an der Leine oder den ausgebüxten Hund suchend), sodass der Hund den Mensch und nicht der Mensch den Hund führt
- Körperkontakt (Schmusen etc.) häufig oder immer nur nach Aufforderung des Hundes, statt dem tierischen Bedürfnis nach Körperkontrolle (z. B. Suche und Entfernung von Zecken, Dornen, Dreck etc.) vorausschauend zu begegnen. Hier kann es dazu kommen, dass der Hund sich gegen Berührungen zur Wehr setzt, wenn ihm der Zeitpunkt nicht passt.
- Hund darf als erster an die Wohnungstür, wenn es dort klingelt oder Besuch reinkommt: Der Hund ist nicht nur aus Spaß neugierig, er übernimmt hierdurch den Schutz des Rudels vor ungewollten Eindringlingen.
- In letzter Konsequenz: Das Privileg zu entscheiden, wer oder was sich dem Rudel nähern oder in das Revier (Gassilandschaft, Garten, Wohnung) eindringen darf, wird samt dem entsprechenden Verteidigungsverhalten dem Hund überlassen.
Auch an der Reihenfolge dieser Aufzählung lässt sich erkennen, dass sich hinter vielen Privilegien auch Verantwortung und Pflichten verbergen: Nämlich die Pflicht, der mit dem Privileg einhergehenden Führungsaufgabe gerecht zu werden, indem jeweils erfolgversprechende und damit bedürfnisbefriedigende Entscheidungen getroffen und entsprechende Verhaltensweisen eingeleitet werden.
Ob ein Hund tatsächlich annimmt, in der Hierarchie über den Menschen zu stehen, hängt neben der Menge der eingeräumten Privilegien entscheidend auch von seiner Veranlagung zur Dominanz ab: Je stärker diese Veranlagung ausgeprägt ist, desto geringer ist seine Unterordnungsbereitschaft und desto weniger Privilegien sind nötig, dass der Hund sich am Ziel seiner Dominanzbestrebung wähnt und seinen Führungsanspruch durchgesetzt glaubt. Umgekehrt kann auch ein Hund, der gar keinen Führungsanspruch erhebt, mit Privilegien so überschüttet werden, dass er eher widerwillig die Chefposten annimmt. In beiden Fällen ist klar: Der Hund kann die Position nicht ausfüllen und wird mit ihr völlig überfordert, denn ihm fehlen die Kompetenzen, ein gemischtes Rudel durch die Zivilisation zu führen – er kann beispielsweise nicht entscheiden, wann eine Straße gefahrlos überquert werden kann oder welche Personen die Wohnung betreten dürfen.
Da in einem reinen Hunderudel der Anführer auch nicht aus Prinzip ständig alle Privilegien einfordert, sondern nur als Mittel zum Zweck auf sie zurückgreift und beispielsweise nur dann einen Hund aufscheucht, wenn er den Liegeplatz selbst verwenden möchte, sollte die Gewährung von Privilegien sparsam, aber nicht dogmatisch, sondern ausgewogen erfolgen. Zu bedenken ist bei aller Klarheit des Zusammenhangs und der selbstverständlichen Erwartung, dass jeder Hundemensch sich entsprechend verhält: Der Entzug von Privilegien bedeutet, dass diese samt Führungsposition und der Verantwortung für die Bedürfnisbefriedigung auf den Menschen übergehen und von diesem nicht nur aus tierschutzrechtlichen Aspekten zu übernehmen ist, denn sie steigert auch die Bindung des Hundes an seinen rudelführenden Menschen.
Es dürfen nicht zu viele Privilegien gewährt werden, aber es müssen auch nicht prinzipiell alle verweigert werden. Entscheidend ist, ob sich schon Tendenzen zur „Machübernahme“ des Hundes erkennen lassen und diesen Dominanzbestrebungen durch den Entzug von Privilegien entgegengewirkt werden muss. Dieser Entzug wirkt nicht nur, weil er klarstellt, wer über die Rechte an den Ressourcen verfügt und sie Kraft seiner Rechte und Führungsrolle verantwortungsvoll verteilt. Er stellt andererseits nach dem Kontingenzschema der operanten Konditionierung eine negative Strafe dar: Auch aus diesem Grund kann der Entzug von Privilegien auch zum Abbau unerwünschten Verhaltens beitragen.
Generell sollten Hundehaltende sich darüber Gedanken machen, welche Privilegien sie gerne gewähren möchten und welche daher nicht zu gewähren sind.
Beispielsweise empfiehlt es sich, die Ressource Futter streng zu kontrollieren: Durch eine geschickte Aufteilung der Tagesration in drei Teile (Frühstück, Trainingsfutter und den Rest für den Abend) lässt sich der Appetit des Hundes bis zum Abend aufrechterhalten. Somit kann ein Teil des Futters im Tagesverlauf aus der Hand verfüttert werden. Das stärkt die Bindung und macht dem Hund sehr klar, wer über das Futter verfügt. Andererseits wird Futter von einem Hund, der Appetit hat, eher als Belohnung empfunden, als von einem pappsatten. So lässt sich Futter einerseits gut zur auf operanter Konditionierung basierenden Hundeerziehung verwenden und andererseits der Grundstein für ein Antigiftköder-Training legen.
Auch spricht im Allgemeinen wenig dagegen, hin und wieder der Spielaufforderung des Hundes zu folgen. Mit Augenmaß sollte ebenfalls auf die Signale des Hundes an der Tür reagiert werden, sofern dieser über das Welpenalter hinaus und bereits stubenrein ist und man als rudelführender Mensch ausreichend Auslauf initiiert und damit Möglichkeiten für die Verrichtung der Geschäfte geschaffen hat: Mit einiger Erfahrung im Aufwischen der Hinterlassenschaften kann leicht unterschieden werden, ob der Hund ohne wichtigen Grund raus will, oder ob er dringend raus muss, weil er krank ist und brechen oder sich mit Durchfall lösen muss. Die unterschiedlich intensiven Signale des Hundes können aber nur unterschieden werden, wenn man beide inklusive der unterschiedlichen Ergebnisse (es geschieht nichts oder er uriniert, übergibt oder löst sich in der Wohnung) gesehen und erlebt hat. Die Zeichen zu unterscheiden kann insbesondere für die eigene Nachtruhe entscheidend sein, denn sicherlich will man den Hund nicht jede Nacht rauslassen, weil der einen Kontrollgang im Garten machen will, andererseits will man nachts auch nicht die Wohnung putzen. Lässt Mensch den Hund hingegen zu allen Tages- und Nachtzeiten immer raus, wenn er entsprechende Zeichen gibt, wird Mensch zwangsläufig zum untergebenen, vom Hund optimal erzogenen und konditionierten Befehlsempfänger mit, zumindest in dem Punkt, entsprechender Hierarchie.
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