Idiopathische Aggression beim Hund

Wenn der Hund krankheitsbedingt übersteigertes Aggressionsverhalten zeigt

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Zuletzt aktualisiert am: 7.8.2024

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Als idiopathische Aggression beschreibt man eine Form übersteigerten Aggressionsverhaltens, das ohne erkennbare Ursache in Form plötzlicher Attacken auftritt. Verschiedene Rassen können betroffen sein, u.a. Englische Cocker Spaniel, Englische Springer Spaniel und Belgische Malinois. Idiopathische Aggression ist eine Ausschlussdiagnose und kann als solche nicht direkt, sondern nur indirekt, mittels Verhaltenstraining und Medikamentengabe behandelt werden. Die Prognose ist, je nach Hund-Halter-Team und Ausprägung der Erkrankung, günstig bis ungünstig.

Lateinischer Name -
Englischer Name Rage Syndrome
Synonyme
  • Aggression aus unbekanntem Grund
  • Aggression ohne erkennbaren Grund
  • Rage Syndrome in Dogs
  • SOA
  • SOIA
  • sudden-onset aggression
  • sudden-onset idiopathic aggression
Meldepflicht -
Anzeigepflicht -
Zoonose Nein


Idiopathische Aggression: Betroffene Hunderassen

( Um die Rassebeschreibung der ausgewählten Rasse lesen zu können, bitte auf das Bild klicken! )
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Erklärung: Was ist eine idiopathische Aggression beim Hund?

Um was für eine Krankheit beim Hund handelt es sich, wie wird sie diagnostiziert und wie sieht das klinische Bild aus?

Erklärung

Fallen Hunde durch aggressives Verhalten, meist in Form impulsiver kurzzeitiger Attacken, auf ohne dass dabei ein Auslöser oder eine körperliche Erkrankung erkennbar ist, spricht man von der sogenannten idiopathischen Aggression bei Hunden. Idiopathisch bedeutet dabei soviel wie „ohne erkennbaren Grund“ - deshalb ist die idiopathische Aggression auch als "Aggression ohne erkennbaren Grund" und "Aggression aus unbekanntem Grund" bekannt. Die Erkrankung ähnelt dadurch der idiopathischen Epilepsie und wird teilweise auch als eine Form derselben angesehen. Bisher gibt es noch keine wirklich eindeutige Definition der Erkrankung und einige Autoren zweifeln auch an deren Existenz, da vermutet wird, dass eine Ursache sehr wohl existiert, aber bisher noch nicht entdeckt wurde (z.B. genetische Veränderungen) oder keine tiefgründige Verhaltensanamnese (Ergründung und Austestung des Verhaltens des betroffenen Hundes) erfolgte und deshalb die Ursache nicht erkannt wurde. 

Hunderassen, bei denen idiopathische Aggression vermutet wird sind u.a. Englische Cocker Spaniel, Englische Springer Spaniel und Belgische Malinois. Bei ersteren wird die Erkrankung sogar unter einem eigenständigen Namen, der „Cockerwut“ geführt. Mehr hierzu erfahren Sie im gleichnamigen Krankheitsartikel.

Häufig sind von der Krankheit "idiopathische Aggression" schon Hunde in jungem Alter (< 3 Jahren) betroffen.

Als Hauptsymptom der idiopathischen Aggression werden impulsive, scheinbar ohne Grund auftretende, aggressive Attacken der Hunde gegenüber ihren Haltern, gegenüber fremden Personen, gegenüber Artgenossen oder sich bewegenden Gegenständen beschrieben. Die Hunde knurren, schnappen und beißen um sich. Dabei kommt es meist zu schweren Verletzungen des Gegenübers, teilweise mit Todesfolgen.

Scheinbar ist kein beim Auftreten der typischen Symptomen der idiopathischen Aggression kein „Muster“ zu erkennen, wann und wie die Hunde reagieren. 

Manche Besitzer geben an, dass die Attacken aus dem Nichts erfolgen, ohne Auslöser und ohne vorherige Warnzeichen. Andere wiederum beschreiben typische Anzeichen von Angst- und Drohverhalten, wie beispielsweise starre Körperhaltung, Fixieren, Blickabwenden, Körperabwenden, Zittern/Beben, Knurren, Zähnezeigen, verengte Pupillen, erweiterte Pupillen etc. 

Es könnte also durchaus sein, dass die angeblich „aus dem Nichts“ erfolgenden Attacken bei der idiopathischen Aggression ganz normale Reaktionen auf für die Hunde beängstigende oder anderweitig bedrohliche Situationen darstellen, deren Vorankündigungen aber von den Besitzern oder anderen involvierten Personen schlichtweg nicht erkannt oder falsch interpretiert werden. Das führt dazu, dass die Hunde sich nicht verstanden fühlen und lernen, dass sie mit Kommunikation und Drohen nicht weiterkommen und werden irgendwann auf diese Warnsignale verzichten und gleich zum „Angriff“ bzw. „Verteidigung“ übergehen. 

Studien zur Cockerwut konnten diese Bedenken bestätigen, indem man herausfand, dass Halter betroffener Hunde oft erhebliche Defizite beim erkennen und interpretieren hündischen Verhaltens zeigten und selbst eher undiszipliniert und emotional instabil waren, was den Umgang mit ihren Hunden zusätzlich erschwerte. Näheres dazu finden Sie im bereits erwähnten Krankheitsartikel zur Cockerwut.

Wie Aggression definiert wird und in welchen Facetten sie auftreten kann, können Sie in unserem gleichnamigen Lexikonartikel nachlesen.

Beachten muss man außerdem, dass die oben genannten Rassen ursprünglich als Arbeits- und Gebrauchshunde für bestimmte Zwecke (z.B. Jagd- oder Schutzzwecke) gezüchtet wurden, auch wenn sie heutzutage oft als reine Familienhunde ohne direkte „Aufgabe“ gehalten werden. Arbeitshunde, die nicht entsprechend ihrem ursprünglichen Zuchtziel ausgelastet werden, neigen zu Verhaltensproblemen. So zeigen unausgelastete Jagdhunde oft fehlgeleitetes Jagdverhalten, arbeitslose Hütehunde exzessives Hüten der eigenen Familie (was auch eine Form des Jagdverhaltens ist) und Schutzhunde lassen ihre Energie und ihren Beutefangwillen an alternativen Personen als dem Dieb oder Einbrecher aus.

Das Fehlen von Auslösern aggressiven Verhaltens wird ebenfalls stark diskutiert. Es stellt, neben der Impulsivität und fehlenden Vorzeichen, ein weiteres beschriebenes Merkmal der idiopathischen Aggression bei Hunden dar.  

Denn nur weil ein Besitzer oder ein Haustierarzt, der keine körperliche Ursache finden kann, keinen Auslöser oder keine Grunderkrankung nennen können, kann dennoch eine spezifische Ursache existieren. So können kleinere körperliche Probleme, die in Summe zu Unwohlsein und gesteigerter Aggression führen, leicht übersehen werden. Andere wiederum sind nur durch aufwendige Untersuchungen mittels MRT (Magnetresonanztomographie), CT (Computertomographie) oder EEG (Elektroenzephalographie) zu erkennen. Wieder andere können nur durch einen Gentest nachgewiesen werden, vorausgesetzt, ein bestimmtes Gen ist der Auslöser und dieses Gen ist bekannt. 

Beim Belgischen Schäferhund, Variation Malinois, existieren entsprechende Gene, die zu gesteigerter Aggression führen können. So wurde zum einen eine bestimmte Form (Allel) des Dopamin-Transporter-Gens SLC6A3 entdeckt. Existieren für ein Gen mehrere Varianten (= Allele) spricht man auch von Polymorphismus („Vielgestaltigkeit“). Da die erste veränderte Variation „A“, in Verbindung mit 22 Nukleotiden (Genbausteinen) beim Malinois entdeckt wurde, wird diese Genbeson-derheit auch Poly-A-22-Defekt genannt. Eine weitere Genvariation, die sich auf den SLC6A3-Transporter auswirkt, ist eine Reihe bestimmter Gensequenzen, auch VNTR genannt (variable number tandem repeat). Beide Varianten sorgen für eine höhere Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin in den synaptischen Spalt von Nervenzellen und eine längere Verweildauer im Spalt. 

Dopamin, auch „Glückshormon“ genannt, hat eine erregende und motivierende Wirkung. Beim Menschen kann es bei einem Übermaß zur Ausprägung verschiedener psychischer Erkrankungen, z.B. Schizophrenie, oder gesteigerter Aggression und Hyperaktivität kommen. Entsprechend kann ein Eingriff in den Dopaminhaushalt auch das Verhalten unserer Hunde verändern. 

Im Falle des Malinois ist die gesteigerte Aggression streng genommen also gar nicht mehr „idiopathisch“, da mittlerweile entsprechende triggernde Genvariationen bekannt sind. 

Weitere mögliche Ursachen für idiopathische Aggression sind pleiotrope Gene, die gleichzeitig für zwei verschiedene Dinge verantwortlich sind (z.B. Fellfarbe und Verhalten) oder das Vorhandensein zweier nebeneinander liegender Gene, die, aufgrund ihrer räumlichen Nähe, zusammen vererbt und evtl. zusammen „abgelesen“ werden (Genkopplung, „genetic linkage“). Wobei es diesbezüglich bisher nur Vermutungen, aber keine stichhaltigen Beweise gibt.  Auch weitere Veränderungen bezüglich des Neurotransmitterhaushaltes von Serotonin, Dopamin und Glutamat, ähnlich der Malinois-Variante, werden diskutiert. 

Als körperliche Ursachen kommen außerdem diverse organische Erkrankungen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen), Schmerzen oder neurologische Erkrankungen (z.B. Epilepsie, Hirntumor).

Genauso können eine reizarme Aufzucht, schlechte Sozialisation, fehlende Gewöhnung an Uweltreize, die schon erwähnten unwissenden Besitzer und verschiedene traumatische Ereignisse zu gesteigerter Angst oder Aggression bei Hunden führen.

Insbesondere wenn phasenweise bestimmte Hunderassen in Mode kommen, summieren sich solche negativen Faktoren. Zum einen bedingt durch geringen Genpool und häufigen Einsatz bestimmter Deckrüden, zum anderen durch unseriöse „Vermehrer“, die Hunde nur des Profits wegen und ohne Augenmerk auf die Gesundheit in hohen Stückzahlen „produzieren“.

Idiopathische Aggression kann also viele Ursachen haben, die evtl. bei den betroffenen Hunden lediglich noch entdeckt bzw. aufgedeckt werden müssen. 

Um die Diagnose „idiopathische Aggression“ zu stellen, müssen vermeintlich betroffene Hunde zunächst körperlich und hinsichtlich ihres Verhaltens komplett untersucht werden. Denn idiopathische Aggression ist eine sogenannte Ausschlussdiagnose, die erst gestellt wird, wenn keine Ursache für die Symptome gefunden wurde. 

Dafür sind eine allgemeine Untersuchung und weiterführende Untersuchungen (z.B. Blutentnahme) beim Haustierarzt oder Fachtierarzt, sowie orthopädische und neurologische Untersuchungen notwendig. Dabei können auch bildgebende Verfahren, wie Röntgen, MRT (Magnetresonanztomographie) oder CT (Computertomographie) sowie Messungen von Reizweiterleitung und Hirnaktivität (EEG) zum Einsatz kommen. Ist körperlich kein Problem zu finden, muss der Hund hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten untersucht werden. Hierzu wird ein Verhaltenstierarzt zu Rate gezogen, der sich den Lebenslauf und das Verhalten des Hundes sowie die Interaktion zwischen Hund und Halter genau ansieht, um mögliche Defizite festzustellen. Erschwert wird dies, wenn der Hund eine unbekannte Vorgeschichte hat, weil keine Berichte vom Züchter oder Informationen zu Elterntieren und Geschwistern vorliegen oder der Hund aus dem Tierschutz übernommen wurde. 

Konnten körperliche und/oder seelische Probleme festgestellt werden, können diese natürlich entsprechend behandelt werden. Die körperlichen Leiden durch Abstellen der Ursache oder symptomatische Therapie mit Medikamenten, Futterumstellung o.Ä. und die seelischen Leiden durch entsprechende Verhaltenstherapie.

Sind keine Ursachen festgestellt worden, die direkt behandelt werden können, wird eine unspezifische Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen, um Schadensbegrenzung zu erreichen (Maulkorbtraining, Medical Training, weitere Sicherungsmaßnahmen) und den Umgang mit dem verhaltensauffälligen Hund zu erleichtern (Schulung des Halters hinsichtlich hündischen Verhaltens, Managementmaßnahmen, Beschäftigung etc.).

Da die Erkrankung idiopathische Aggression schwer zu definieren und ihre Symptome und Behandlung nicht exakt einem Lehrbuch folgen, ist die Prognose fraglich. Bei entsprechend guter Therapie und motivierten Besitzern ist sie in der Regel günstig. In schweren Fällen kann sie schlecht ausfallen und eine Euthanasie des Tieres zur Folge haben. 

Prophylaxemaßnahmen sind bei idiopathischer Aggression kaum möglich, da die Erkrankung dadurch definiert ist, dass sie keinen bekannten Auslöser hat und somit auch prophylaktisch nicht auf einen Auslöser verzichtet werden kann. Es hat sich aber bewährt, auf bestimmte Dinge zu achten, um das Risiko einen betroffenen Hund zu erhalten, zu minimieren:

  • Auswahl verantwortungsvoller Züchter
  • Auswahl eines zum Halter und Lebensumfeld passenden Hundes
  • gute Sozialisation und Gewöhnung an Umweltreize
  • kompetentes Training und Erziehung von Welpen an
  • Schulung von Hundehaltern, insbesondere hinsichtlich hündischer Kommunikation
  • körperliche und geistige Auslastung des Hundes, insbesondere im Hinblick auf seine Rassegeschichte (vgl. Gebrauchshunde)
  • regelmäßige Gesundheitsprophylaxe
  • frühzeitige Kontaktierung von Fachpersonal (Tierarzt, Verhaltenstierarzt, Hundetrainer) bei Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten
Gut informiert:

Als Hundehalter ist man für das Verhalten seines Hundes verantwortlich. So sollte man alles dafür tun, dass der Hund bestmöglich sozialisiert und erzogen ist, um einen alltagstauglichen und sozialverträglichen Hund zu führen. Dennoch kann aus verschiedenen Gründen auch zu ausgeprägtem Aggressionsverhalten mit Beißvorfällen kommen. So kann eine Beißattacke durchaus wie im Falle einer idiopathischen Aggression beim Hund krankhaft begründet sein. Was dies zivilrechtlich und verwaltungsrechtlichen bedeuten kann, haben wir in einem ergänzenden Fachartikel mit dem Titel "Beißvorfall mit Hunden: Was sind die rechtlichen Folgen bei einem Hundebeißvorfall?" eingehend beschrieben.

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Was führt zur idiopathischen Aggression beim Hund? Risiken & Ursachen

Welche Risikofaktoren und Ursachen sind für die idiopathische Aggression bei Hunden bekannt?

Risikofaktoren

  • Genetik
  • Fehler in der Aufzucht
  • Fehler in der Erziehung
  • unsachkundige Halter
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Idiopathische Aggression: Symptome & Krankheitsanzeichen beim Hund

Welche Symptome und Krankheitsanzeichen sind für die idiopathische Aggression bekannt und wie äußert sie sich?

Symptome & Krankheitsanzeichen

Folgende Symptome treten bei der Idiopathischen Aggression beim Hund auf:

  • Erstarren
  • Fixieren
  • Erweiterte Pupillen
  • Verengte Pupillen
  • Knurren
  • Bellen
  • Schnappen
  • Beißen
  • Plötzliche Aggression
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Behandlung & Therapie der idiopathischen Aggression beim Hund

Wie kann die idiopathische Aggression beim Hund behandelt und therapiert werden?

Behandlung

Konservativ:

  • Abstellen der Grunderkrankung
  • Verhaltenstherapie

Chirurgisch:

i.d.R. keine

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Idiopathische Aggression beim Hund - Vorbeugung & Prävention

Welche präventiven Maßnahmen helfen bei einer idiopatischen Aggression und was kann der Halter vorbeugend tun?

Vorbeugung

  • Auswahl verantwortungsvoller Züchter
  • Auswahl eines zum Halter und Lebensumfeld passenden Hundes
  • gute Sozialisation und Gewöhnung an Umweltreize
  • kompetentes Training und Erziehung von Welpen an
  • Schulung von Hundehaltern, insbesondere hinsichtlich hündischer Kommunikation
  • körperliche und geistige Auslastung des Hundes, insbesondere im Hinblick auf seine
  • Rassegeschichte (vgl. Gebrauchshunde)
  • regelmäßige Gesundheitsprophylaxe
  • frühzeitige Kontaktierung von Fachpersonal (Tierarzt, Verhaltenstierarzt, Hundetrainer) bei Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten

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