Das Antijagdtraining für Hunde
Was ist ein Antijagdtraining für Hunde?
Von:
Carsten Becker
Zuletzt aktualisiert am: 28.4.2024
- AJT
- Anti-Jagd-Training
- Jagdkontrolltraining
Ein Antijagdtraining beinhaltet gezielte Trainingseinheiten, mit denen der individuell natürlich verankerte und genetisch vererbte Jagdtrieb des Hundes unter Kontrolle gebracht werden soll. Sprich, durch das Hundetraining soll der Hund entsprechende erzieherische und ausbildungsseitige Inhalte vermittelt bekommen, damit er nicht unkontrolliert und impulsiv auf diverse Außenreize anspringt und somit vom eigenständigen Jagen abgehalten wird. Daher ist im Grunde der Begriff Antijagdtraining nicht ganz die passende Bezeichnung. Besser wäre "Jagdtriebkontrolltraining", denn es geht nicht darum den angeborenen Beutetrieb zu unterdrücken, sondern ihn mit geeigneten Instrumenten zu kontrollieren.
Das Ziel ist es, dass der Hund trotz etwaiger Bewegungsreize, akustischer und visueller Stimuli oder Aufnahme von Wildgeruch, sich selber im Griff hat und nicht trotz seines inneren Drangs, ausgelöst durch die besagten Trigger, triebgesteuert ausbricht und das Weite sucht. Er soll also mit den Elementen des Antijagdtrainings in die Lage gebracht werden, derartigen Versuchungen zu widerstehen. Ferner braucht der Halter/Hundeführer hilfreiche und praxiserprobte Führungsinstrumente, mit denen er situativ auf den Hund angemessen einwirken und diesen kontrollieren kann.
Jeder Hund bringt einen spezifischen Beute-/Jagdtrieb mit, den er innerhalb seines Beutefangverhaltens auslebt. Manche Hunderassen haben von Natur aus einen ausgeprägteren Jagdinstinkt, da sie gezielt für die Verwendung als Arbeitshund bei der Jagd im Revier entwickelt und gezüchtet wurden. Und hier gibt es Allrounder und wahre Spezialisten für die verschiedenen Jagdaufgaben. Sie müssen als Jagdhelfer sensibel auf jegliche Reize von Wild reagieren, da sie dies im Rahmen ihrer Jagdaufgaben aufspüren und jagen sollen. Dies gilt für Nasenjäger und Sichtjäger, die auf unterschiedliche Weise ihre Sinne nutzen. Die einen entdecken mit ihren herausragenden Augen die Beute, verfolgen dann diese mit ihrem außerordentlichen Laufvermögen bei der Hatz und fangen zu Teilen das Wild mit ihrem Fang lebend. Andere sollen vor dem Schuss das Wild suchen, aufstöbern und je nach Job anzeigen, hochmachen und verfolgen/hetzen, bis der Jäger das Wild durch einen gezielten Schuss erlegen kann. Nach dem Schuss ist es die Aufgabe der Spürnase das angeschossene oder getötete Stück (Verlorensuche/Verlorenbringen/Schweißarbeit) zu suchen, stellen oder im Falle von erlegter kleinerer Beute (Federwild/Kaninchen/Hase) zu apportieren. Bei diesen Formen der jagdlichen Beschäftigung, findet das Jagen in verschiedenen Sequenzen des Beute-/Jagdverhaltens gewollt statt, dies in aller Regel auf kontrollierte Weise und in abgesteckten Aufgabenbereichen, für die der Hund jagdlich abgerichtet wurde. Hier kann sich der Jagdhund dann innerhalb seines Verantwortungsbereichs mit all seinen Anlagen und jagdlichen Fähigkeiten erlaubterweise einbringen, entfalten und ausleben, zum Jagderfolg aktiv beitragen. Es wird gejagt, wenn der Jagdführer seinem Hund das "Go" gibt. Dabei werden konkrete Arbeitsaufgaben durch den Hund erledigt. Währenddessen besteht eine enge Führerbindung. Der Kontakt zwischen Jagdhund und Jäger reißt im Optimalfall also nicht ab, der Hund kann während seiner Jagdtätigkeiten gesteuert werden. Ausnahmen bestätigen natürlich auch im Revier die Regel. Denn auch dort kann es durchaus passieren, dass der Vierbeiner wie in Trance agiert, stundenlang auf einer Fährte unterwegs ist bzw. gesichtetes Wild hetzt und der sonst bestehende Draht zum Jäger abgebrochen ist.
Im normalen Hundealltag will man als verantwortlicher Halter/Hundeführer aber nicht, dass der Hund vorbeilaufenden Katzen, flüchtenden Hasen oder pfeifenden Vögeln auf Grund des einwirkenden Bewegungsreizes hinterherjagt. Viel mehr wünscht man sich doch eine entspannte Hunderunde, bei der der Hund nicht ständig auf Grund des nächtlichen Wildwechsels im Wald oder Feld angespannt stehen bleibt, da ihm der Wildduft die Sinne raubt und er fast gar nicht mehr zu halten ist. Bestenfalls nimmt er zwar diese Außenreize war, reagiert aber nicht impulsiv, lässt sich ebenso wenig von den externen Reizen verleiten und nimmt reiß aus, sondern bleibt gefasst, hält Kontakt zu seinem Herrchen/Frauchen und führt erlernte und situativ abgerufene Verhalten nun wunschgemäß aus.
Dies erfordert ein umfangreiches und intensives Training als Hund-Mensch-Gespann, denn die Kontrolle lässt sich nur im Team erarbeiten und mit den dafür erlernten Instrumenten abrufen.
Der Jagd-/Beute- und Hetztrieb ist eine wichtige natürliche Veranlagung, die dem Hund beim Leben in freier Wildbahn zum Überleben verhalf. Denn mit Hilfe seiner Sinne konnte er potentielle Beute suchen und aufstöbern, diese verfolgen und hetzen, um Beute zur Ressourcengewinnung und Bedürfnisbefriedigung zu erlegen. Kurz, um satt zu werden. So tun dies die Vorfahren unserer Caniden, die Wölfe, bis heute. Das Jagdverhalten ist also existenziell und damit völlig normal. Somit bei domestizierten Hunden ein Überbleibsel, das mal mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden ist.
Um seinen Hund nun im öffentlichen Raum gefahrlos führen zu können, braucht es bestimmte Erziehungsmaßnahmen, um die Kontrolle über seinen Hundepartner zu halten. Damit kommt man einerseits den rechtlichen Pflichten der Hundegesetze nach, andererseits sorgt man aus Eigeninteresse dafür, dass man seinen Vierbeiner möglichst immer im Griff hat, denn letztlich haftet jeder Halter mit seinem Vermögen für alle Schäden, die sein Hund Dritten oder Sachen zufügt. Seien es demnach Personen-, Sach- oder Vermögensschäden an fremden Menschen, Tieren oder Gegenständen. Jagt also der eigene Vierbeiner wann immer er will drauflos, da ihn bestimmte Reize übermannen, sind Probleme schon vorprogrammiert. Das unkontrollierte Jagen und Hetzen von Wild oder anderen Tieren, gilt im Übrigen als Wilderei und darf je nach Bundesland mit drakonischen Maßnahmen bestraft werden - dies kann bis zum gezielten Abschuss des allein umherstreifenden Vierbeiners gehen. Mehr dazu findet ihr in unseren Artikeln rund im die Hundehaltung.
Zudem hat das unkontrollierte Ausleben des Beutefangverhaltens einen selbstbelohnenden Effekt. Sprich, schon nur der eigentliche Jagdvorgang wirkt wie eine Droge, egal ob der Hund beim Ausleben seines Triebverhaltens Beute macht oder nicht. Gehen mit dem Hund folglich die Gäule durch und er befindet sich während des Jagdvorgangs auf der emotionalen Ebene seines Gehirns, so wird jedweder Zugang durch seinen Hundeführer auf Grund des "Rauschzustandes" erfolglos sein und er seinem Treiben mit ausgeprägter Jagdpassion nachgehen - die Folge ist, dass er dieses Erlebnis mit den empfundenen Glücksgefühlen immer wieder aufs Neue suchen und entsprechend bei Einwirkung der richtigen Reize, wiederholen wird. Und dies wird, wenn er sich immer wieder auf und davon macht, von Mal zu Mal schlimmer.
Es benötigt also für den gemeinsamen Hundealltag zunächst das nötige Verantwortungsbewusstsein, die richtige Herangehensweise, Umgangsformen und charismatisches Auftreten als Führungspersönlichkeit, um die Rolle der Autoritätsperson angemessen ausführen zu können und gleichzeitig stets mit dem angebrachten Respekt mit seinem Hund umzugehen. Dadurch wird von klein auf die Bindung zwischen Hund und Halter auf- und ausgebaut und durch vertrauensbildende Maßnahmen beim Zusammenwirken gefestigt. Dies ist das Fundament für alle weiteren Schritte wie den nötigen Grundgehorsam (Sitz, Platz, Komm, Hier, Aus etc.), der wiederum die Basis für die Inhalte des Antijagdtrainings ist.
Innerhalb des Antijagdtrainings spielen dann die Orientierung des Hundes an Herrchen/Frauchen eine große Rolle. Mit und ohne Ablenkung. Der Blickkontakt und die gegenseitige Aufmerksamkeit sind ganz wichtige Merkmale, um als Team durch Dick und Dünn zu gehen und im Alltag zu funktionieren. Das Ziel ist es, mit dem Hund in Verbindung zu bleiben, damit mit ihm kommuniziert werden kann. Der Hund soll schließlich mitbekommen was Herrchen/Frauchen an Infos sendet und von ihm will, ebenso braucht der Hund die Aufmerksamkeit, damit sein Hundeführer dessen Stimmung, Anliegen, Signale etc. mitbekommt, diese deuten und entsprechend darauf reagieren kann. Die Krux dabei ist vor allen Dingen, in Momenten mit interessanten Ablenkungen, dennoch für den Hund durch angebotenes Alternativverhalten noch interessanter und wichtiger zu bleiben, damit weiterhin der Zugang zu ihm bestehen bleibt und er wunschgemäß zu steuern ist. Also erwünschtes und abgerufenes Verhalten, trotz aller situativen Versuchungen um ihn herum, bereitwillig ausführt und sich weiterhin an seinem Herrchen/Frauchen orientiert. Sei es nun im Hinblick auf das hier besprochene Jagd-/Beutefangverhalten wenn er z.B. ein Reh im Wald sieht oder jedwede andere gemeinsame Aktivität im Alltag. Zudem ist die Impulskontrolle Gegenstand der Ausbildungsinhalte des Antijagdtrainings. Diese soll so ausgebaut und gefestigt sein, dass er auch beim Anblick einer Sau oder flüchtenden Katze reagiert, aber nicht impulsiv darauf anspringt und sich vom Acker macht oder Herrchen/Frauchen fast im angeleinten Zustand den Arm aus dem Leib reißt. Durch den Impulsgeber (Sichtkontakt zu Wild/Duft des Wildes etc.) steigt nämlich das Erregungslevel beim Hund an, dieser ist extrem angespannt. Mit einer starken Impulskontrolle nimmt der Hund den Trigger wahr und reagiert, wird ihm aber nicht erlegen und sich verleiten lassen. Er hält also den größten Versuchungen stand, bekommt im Idealfall das bereits erwähnte aufgebaute Alternativverhalten angeboten, das entweder erst gar nicht dazu führt, dass er in den Jagdmodus schaltet oder sogar trotz der hohen Ablenkung abrufbar ist, sprich unerwünschtes Verhalten verhindert wird oder unterbricht. Dies muss natürlich mit einer ausgiebigen Belohnung honoriert werden, die für den Hund einen viel höheren Stellenwert als der Reiz/Ablenkung hat. Es wird damit vermieden, dass das Erregungslevel des Vierbeiners durch den einwirkenden Reiz ins Uferlose steigt, er von seiner denkenden Hirnhälfte in die emotionale umschaltet, damit unkontrollierbar sich von seinem Halter "verabschiedet" und in seiner eigenen Hundewelt unterwegs ist. Es werden Führungstechniken und -tools trainiert, mit denen der verantwortliche Hundeführer gezielt das Stresslevel beeinflussen und auf seinen Hundepartner einwirken kann. Hier greifen manche Anbieter auch auf Elemente der konditionierten Entspannung zurück, um in bestimmten Situationen das Erregungsniveau und den aufgebauten Stress abzubauen. Ferner kommt noch das Einstudieren eines Abbruchssignals und der sichere Rückruf hinzu, mit denen der jeweilige Halter im Ernstfall als letztes Mittel den bereits gestarteten jagdtriebigen Hund "zurückpfeifen" und von seinem Vorhaben abbringen soll. Bildlich gesprochen soll dies die Notbremse sein, wenn der Hund mit seiner Jagd auf gesichtetes Wild/Tiere oder die aufgenommene Fährte gestartet ist.
Dies alles erfordert intensive gemeinsame Arbeit und Training, bei der vom Halter viel Konsequenz, Disziplin, Geduld und Durchhaltevermögen abverlangt wird. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Erfolge werden entsprechend mit positiver Verstärkung belohnt, um den Hund bei Laune und für weitere Übungen motiviert zu halten.
Wie nun der genaue Inhalt, die Herangehensweise und Umsetzung des Antijagdtrainings im Einzelnen aussieht, kommt natürlich von Hundeschule/Hundetrainer zu Hundeschule/Hundetrainer an. Hier vertritt jeder Einzelne seine eigene Philosophie. Erkundigt euch einfach nach regionalen Anbietern und macht euch vor Ort einen ersten Eindruck. Denn auch Faktoren wie Sympathie zwischen Hund und Trainer sowie ein gutes Bauchgefühl des verantwortlichen Halters sind entscheidende Treiber auf dem Weg der angestrebten Trainingsziele.
Neben den erforderlichen Erziehungsmaßnahmen, einer vorausschauenden und antizipierenden Führung gehören auch gezielte ersatzbefriedigende Beschäftigungen zum Hundeprogramm. Es müssen Gelegenheiten her, die die natürlich verankerten Bedürfnisse, Triebe und Anlagen ansprechen, in geeignete kontrollierte Bahnen umgeleitet werden und damit der Vierbeiner voll auf seine Kosten kommt. Der Hund muss mit einem rassekonformen Auslastungsprogramm physisch und kognitiv gefordert und gefördert werden. Denn den Jagdtrieb einfach zu unterdrücken und klein zu halten, wird nicht funktionieren, sondern nur aufstauen. Erhält aber der Vierbeiner die Möglichkeit, entweder im Rahmen seiner angedachten Verwendung als abgerichteter Jagdhund oder im normalen Hundealltag auf dem Hundeplatz seine Jagdfähigkeiten zu zeigen, kann er je nach Disziplin und Aufgabe kontrolliert die einzelnen Sequenzen des Beutefangverhaltens ausleben. So sind diverse Aktivitäten rund um die Nasenarbeit mit konkreten Suchaufgaben ideale Formen, wo der Hund seine Spürnase und Orientierungssinn perfekt einbringen kann. Sei es in der Freizeit beim Suchen von versteckten Leckerlies oder Futterbeuteln, bei der Vermisstensuche in der Rettungshundestaffel oder dem Mantrailing, der Zielobjektsuche, Fährtenarbeit, Jagility etc. im Hundesport.
Da das Thema Konditionierung/Hundetraining ein wesentlicher Faktor der Hundehaltung ist und damit auch zeitlich einen großen Anteil im Alltag einnimmt, wollen wir alle Interessierte gerne abholen und noch tiefer in diesen Bereich mit unserem 3-teiligen Leitartikel eintauchen lassen. Hier findet alles rund um den wissenschaftlichen Hintergrund bis zur Umsetzung modernsten Hundetrainings.
- Lerntheorie I: Die wissenschaftlichen Grundlagen modernen Hundetrainings – Pawlow, Skinner & Co
- Lerntheorie II: Clicker- & Targettraining, Shaping & Chaining, Capturing & Co als angewandte Wissenschaft
- Lerntheorie III: Der Kurzüberblick über die Trainingsmethoden der modernen Hundeerziehung
Viel Freude beim Lesen!
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